Reisen als Arbeitszeit

Im Augenblick spricht ganz Deutschland über das Nicht-Reisen in den Sommerferien. Doch nicht nur aus privatem Vergnügen reisen die Menschen. In vielen Berufen gehören Dienstreisen zum Arbeitsalltag. Zwar ist auch das geschäftliche Reisen derzeit auf ein absolutes Minimum reduziert, doch sobald Normalität einkehrt, werden unzählige berufliche Treffen nachgeholt und das berufliche Reisen wird deutlich ansteigen. Dann stellt sich wieder einmal die Frage, ob und inwieweit Reisezeit Arbeitszeit ist.

Was ist eine Dienstreise?

Vorangestellt werden soll zunächst, dass der Weg zur regelmäßigen Tätigkeitsstätte – auch wenn er sich für manchen noch soweit anfühlen mag – nicht als Dienstreise einzustufen ist. Eine Dienstreise ist eine durch arbeitgeberseitige Weisung veranlasste Fahrt an einen Ort, der nicht die reguläre Arbeitsstätte ist, um der Erfüllung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen nachzukommen. Der reguläre Arbeitsweg ist damit keine Reisezeit, vielmehr entscheidet jeder Arbeitnehmer über seinen Wohnort selbst über seine Wegzeiten.

Wie definiert sich Arbeitszeit?

Auch der Begriff der Arbeitszeit, der auf den ersten Blick eindeutig scheint, bedarf im Dschungel der juristischen Rechtsbegriffe Aufklärung: Zu unterscheiden ist zwischen der Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes und der Arbeitszeit im Sinne von vergütungspflichtiger Arbeitszeit. 

Gemäß § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist Arbeitszeit die Zeit von Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Vergütete Arbeitszeit ist nicht wesensgleich mit der Arbeitszeit nach dem ArbZG. Ebenso wenig ist sie auf die eigentliche Kernarbeit beschränkt. Auch wenn grundsätzlich gilt, dass Arbeitszeit nach dem ArbZG vergütet werden muss, ist der Rückschluss, dass vergütete Arbeitszeit auch gleich der Arbeitszeit nach dem ArbZG ist, nicht richtig – man danke an die Rufbereitschaft.

Regelungen der Vergütung von Reisezeit vor 2018

Ausgangsüberlegung ist, dass das Zurücklegen des Weges von der Wohnstätte zur Arbeitsstätte dem privaten Bereich zuzuordnen ist und daher nicht als Arbeitszeit zu klassifizieren ist. Entschieden war ebenfalls die Rechtslage für Außendienstmitarbeiter und andere Arbeitnehmer die ihre Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen haben und ohne Reisetätigkeit ihrer Hauptleistungspflicht nicht nachkommen könnten: die Anfahrtszeit ist in diesen Fällen als regulär geschuldete Arbeitstätigkeit zu vergüten. Ebenfalls war schon damals geklärt, dass Reisetätigkeit während der regulären Arbeitszeit – wenn und weil die Reise auf Anweisung des Arbeitgebers stattgefunden hat – zu vergüten ist. Ungeklärt war allerdings, wie mit Reisezeit, die nicht in die reguläre Arbeitszeit fällt, umgegangen werden soll.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Reisezeit

Das Bundesarbeitsgericht befasste sich in seiner Entscheidung vom 17.10.2018 (BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17) mit der Vergütung von Reisetagen, die ein Arbeitnehmer aufgrund der Entsendung ins Ausland geltend machte. Der Arbeitnehmer klagte hierbei auf Vergütung der gesamten Reisezeit (von jeweils zwei Tagen für Hin- sowie Rückreise ins Ausland), mithin von dem Zeitpunkt, als er seine Wohnung verließ, bis zur Ankunft in der auswärtigen Arbeitsstätte, sowie andersherum auf dem Rückweg.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass dem Arbeitnehmer der vorübergehend ins Ausland entsendet wird und damit ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers und in untrennbaren Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung tätig wird, ebenso zu behandeln ist, wie ein Außendienstmitarbeiter (siehe oben).

Die Interessenslagen werden hier als gleich gelagert betrachtet, da beide ihrer Kerntätigkeit ohne die Reisetätigkeit nicht erbringen könnten. Reisezeit wird in diesen Fällen unabhängig von der regulären Arbeitszeit vergütet, sofern es sich um erforderliche Reisezeit handelt.

Erforderlichkeit der Reise(zeit)?

Erforderliche Reisezeit ist daher wie reguläre Arbeitszeit zu vergüten. Von erforderlicher Reisezeit kann dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber Vorgaben macht, wie der Arbeitnehmer das Ziel zu erreichen hat. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Durchführungsinhalte der Reise vorgibt. Denkbar ist dies insbesondere, wenn die Buchung und Planung der Reise durch Vertreter des Arbeitgebers erfolgt. 

Wenn der Arbeitnehmer selbst für die Reiseplanung verantwortlich ist, ist die Zeit als erforderliche Reisezeit anzunehmen, die der Arbeitnehmer tatsächlich benötigt. Im Zweifel ist die (unter Berücksichtigung der Reisedauer) kostengünstigste Route zu wählen.

Konkreter Bestandteil der Reisezeit sind Beförderungszeiten ebenso wie zwingender Mehraufwand in Form von Wege- von Wartezeiten. Rein eigennütziger Mehraufwand wie beispielsweise das Kofferpacken gehört hingegen nicht zur Reisezeit und wird daher auch nicht vergütet.

Abdingbarkeit der Vergütung der Reisezeit

Teil der Entscheidung ist auch, dass gesonderte Vergütungsregeln für die Reisezeit, die über die reguläre Arbeitszeit hinausgeht, im Arbeitsvertrag oder einem speziellen Reisezeitvertrag getroffen werden können. Grundsätzlich ist die Vergütung der Reisezeit also disponibel. Jedoch ist eine solche Regelung als allgemeine Geschäftsbedingung inhaltlich vollumfänglich überprüfbar und muss sich an den §§ 307 ff. BGB messen lassen – die Hürden der wirksamen und nicht einseitig benachteiligenden Gestaltung sind für den Arbeitgeber somit entsprechend hoch. Des Weiteren darf durch eine Vereinbarung über die Vergütung von Reisezeit die Bestimmungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) nicht umgangen werden.

Reisen als Arbeitszeit i.S.d. Arbzeitgesetzes

Unabhängig von der Vergütung ist die Einordnung von Reisezeit als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Der Arbeitgeber hat gemäß dem Arbeitszeitgesetz die Ruhe und Höchstarbeitszeiten seiner Arbeitnehmer zu beachten. Nach der zuvor dargestellten Einordnung von Arbeitszeit kann dies bei einer interkontinentalen Geschäftsreise auf den ersten Blick unmöglich sein. Die tägliche Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz beträgt regelmäßig acht Stunden. In Einzelfällen kann diese auf bis zu zehn Stunden verlängert werden. Im Falle einer Geschäftsreise von Hamburg nach Tokio beträgt allein die Flugzeit 14 Stunden. Wenn dies alles Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes wäre, dürften Unternehmen ihre Arbeitnehmer nicht auf direkten Weg nach Tokio oder viele weitere Destinationen entsenden.

An dieser Stelle kommt die Differenzierung zwischen Arbeitszeit im Sinne des ArbZG und im vergütungsrechtlichen Sinne zum Tragen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt Arbeitszeit im Sinne des ArbZG dann vor, wenn ein Arbeitnehmer während der Reisezeit fremdbestimmt im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers beansprucht ist.

Fremdbestimmung der Lebenszeit

Bestimmt der Arbeitgeber, dass die Reisezeit zur Ausführung von arbeitsvertraglichen Aufgaben, beispielsweise Beantwortung von E-Mails, Erstellung von Präsentationen oder anderweitige Arbeit, genutzt werden soll, ist diese Zeit problemlos als Arbeitszeit auch im Sinne des ArbZG einzustufen.

Konzentration oder Lieblingsserie?

Erfolgt eine derartige Arbeitsanweisung nicht, ist zu differenzieren, welches Fortbewegungsmittel der Arbeitnehmer nutzt und, ob die Nutzung vorgegeben wurde. Bewegt der Arbeitnehmer auf die Anweisung des Arbeitgebers selbst ein Fahrzeug, so fehlt es an der abstrakten Erholungsmöglichkeit. Der Arbeitnehmer muss sich in der Zeit, in der er sich fortbewegt, konzentrieren und kann die Zeit nicht zur Erholung nutzen oder sie anderweitig frei einteilen.

Entspannung en route

Ordnet der Arbeitgeber dagegen die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln an, kann der Arbeitnehmer selbst entscheiden, wie er die Zeit verbringen möchte. Insbesondere kann er Hobbys wie Lesen, Musikhören, Social Media nachgehen oder sich auf sonstigem Wege entspannen.

Selbiges gilt für den Fall, dass dem Arbeitnehmer die Entscheidung, welches Verkehrsmittel genutzt werden soll, überlassen wird.

Reisezeitvereinbarung

Ein Arbeitgeber hat daher doppeltes Interesse, eine Regelung über die Reisezeit zu treffen. Zunächst kann, wie zuvor beschrieben, durch einzelvertragliche Regelung die Vergütung von Arbeitszeit in Gänze abbedungen oder wenigstens beschränkt werden. Darüber hinaus kann und sollte ein Arbeitgeber durch eine solche Regelung sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des ArbZG, eingehalten werden.

Eine Vereinbarung kann dergestalt aussehen, dass bei langen Dienstreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln die reguläre Arbeitszeit von acht Stunden zur Erledigung der Kernarbeit genutzt werden soll. Reisezeit, die darüber hinaus geht, ist mit einer pauschalen Zahlung jedoch abgegolten und darf durch den Arbeitnehmer im Rahmen der durch die Reise bedingten Möglichkeit frei genutzt werden.

Bei der Erstellung oder Prüfung einer solchen Regelung oder Unsicherheiten im Zusammenhang mit Reisezeit unterstützen wir, Dr. Granzin Rechtsanwälte, Sie als Fachanwälte für Arbeitsrecht gern!

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