2010 kam es bei der Loveparade in Duisburg zur Katastrophe. 21 Menschen verloren damals ihr Leben, mehr als 650 weitere wurden verletzt. Das Geschehene soll nun doch noch in einem Strafprozess aufgearbeitet werden, wie das Düsseldorfer Oberlandesgericht kürzlich entschieden hat. Dies kam als eine überraschende Wende, nachdem das Landesgericht Duisburg im vergangenen Jahr das Hauptverfahren wegen mangelnder Erfolgsaussichten zunächst nicht eröffnen wollte. Die Gründe hierfür waren insbesondere ein nach Ansicht der zuständigen Kammer unzulängliches Gutachten, sowie ein nicht hinreichend belegter Anklagevorwurf.
Die Staatsanwaltschaft und verschiedene Nebenkläger hatten dagegen Beschwerde eingelegt, letzten Endes mit Erfolg. Fast sieben Jahre nach dem Unglück besteht nun die Möglichkeit, die quälenden Fragen um das Vorgefallene doch noch umfassend aufzuarbeiten. Besonders für Opfer und Angehörige, die jahrelang um die Aufklärung der Geschehnisse gekämpft hatten, gibt der Beschluss des OLG Düsseldorf Anlass zu neuer Hoffnung. Eine andere Kammer des Landgerichts Duisburg muss nun über die Schuldfrage entscheiden – angesichts des Umfangs und der umstrittenen Beweislage wird dies keine leichte Aufgabe sein.
Wie kam es zu dem Unglück?
An einem Engpass war es bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 zu einer Massenpanik gekommen. Zwischen 16:30 und 17:15 Uhr drängten sich auf beengtem Raum am Zugangsbereich des Veranstaltungsgeländes mehrere zehntausend Menschen. Maßgebliches Problem war das für eine Veranstaltung dieser Dimensionen unzureichend geplante Zu- und Abgangssystem. Die Besucher sollten über eine einzige Rampe auf das Gelände geführt werden – über den gleichen Weg wurden allerdings auch diejenigen, die das Gelände verlassen wollten, wieder hinausgeleitet. Die Rampe selbst war am Veranstaltungstag durch Zäune verengt worden. Von einer tatsächlichen Breite von 18,28 Metern blieben stellenweise weniger als 11 Meter übrig.
Aber nicht nur Planungs- und Genehmigungsfehler haben zur Katastrophe geführt. Auch am Unglückstag selbst wurden folgenschwere Entscheidungen getroffen. Die Verständigung unter den Polizeibeamten war nicht möglich, da im Vorfeld keine Angleichung der Funkfrequenzen der Beamten aus verschiedenen Länder erfolgt war. Als im Laufe der Veranstaltung dann das Mobilfunknetz zusammenbrach, waren die Beamten an ihren jeweiligen Einsatzorten auf sich gestellt, eine konsequente Strategie mangels Rücksprache nicht mehr möglich.
Zudem waren nicht ausreichend Beamte im Einsatz und auch die Mitarbeiter des Veranstalters „Lopavent“ waren mit der Situation überfordert. Bereits gebildete Absperrketten wurden wieder aufgelöst, sodass in kurzer Zeit immer mehr Menschen unkontrolliert in den Tunnel strömten, der den Zugang zum Gelände bildete. Geschiebe, Gedränge und Panik waren die Folge – für 21 Menschen endete das Techno-Festival mit dem Tod.
Wer ist angeklagt – und wer nicht?
Insgesamt zehn Angeklagte müssen sich vor Gericht verantworten. Im Februar 2014 hatte die Staatsanwaltschaft einen Duisburger Stadtentwicklungsdezernenten sowie fünf Mitarbeiter des städtischen Bauamts und vier Verantwortliche des Loveparade-Veranstalters „Lopavent“ wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Drei Sachbearbeiter des Bauamts waren verantwortlich für die Prüfung der Anträge und sollen die Genehmigung für bauliche Maßnahmen, insbesondere die problematische Einzäunung, erteilt haben, ohne dass die erforderlichen formellen und inhaltlichen Voraussetzungen hierfür vorlagen.
Von Anfang an wurde auch Kritik daran geäußert, dass weder der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland, noch der Veranstalter Rainer Schaller angeklagt wurden. Die Staatsanwaltschaft sah bei ihnen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen hatten.
Beide durften darauf vertrauen, dass die hinsichtlich der Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben auf der Grundlage ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden. Stattdessen wird der damalige Gesamtleiter des Veranstalters, dessen Produktionsleiter, der Verantwortliche für die Sicherheit und der technische Leiter des Projekts zur Verantwortung gezogen.
Polizeibeamte waren nicht angeklagt worden, da ein Sachverständiger festgestellt hatte, dass polizeiliche Maßnahmen nicht ursächlich für das Unglück gewesen seien. Die Beamten hätten auch keine Maßnahmen unterlassen, durch die der tödliche Ausgang der Ereignisse noch hätte abgewendet werden können. Auch diese Entscheidung war für viele Kritiker nicht nachvollziehbar. Mittlerweile dürften aber schon aufgrund von Verjährung Ermittlungen gegen die Polizisten ausgeschlossen sein.
Viele Ursachen, aber keine Schuldigen?
Nach wie vor bleibt das für die Anklage zentrale Gutachten umstritten. Das Landesgericht Duisburg hatte das Gutachten zunächst wegen gravierender inhaltlicher und methodischer Mängel für nicht brauchbar erachtet. Diese Ansicht teilte das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch nicht, es hält das Gutachten sowohl prozessual wie auch inhaltlich für verwertbar. Vielmehr habe das LG Duisburg zu hohe Anforderungen an die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts gestellt und wesentliche Bestandteile des ermittelten Sachverhalts falsch gewichtet. So sagte die Präsidentin des OLG Düsseldorf, dass „die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems für die Besucher sowie die mangelnde Durchflusskapazität planerisch angelegt war und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt hätten“. Neben der Überschreitung eben dieser maximalen Durchflusskapazität auf der Rampe, müssten aber auch andere Umstände der Planung, Genehmigung und Durchführung der Veranstaltung berücksichtigt werden.
Die Kritik an dem Gutachten ist damit jedoch nicht verstummt. Dieses reiche nach Expertenmeinungen allenfalls für einen Verdacht, jedoch nicht für eine Verurteilung. Zudem wird teilweise bezweifelt, dass ein derart komplexer Geschehensablauf wie er bei Großunglücken typisch ist, überhaupt mit strafrechtlichen Kausalitätsregeln greifbar gemacht werden kann. So verständlich der Wunsch von Opfern und Hinterbliebenen nach Gerechtigkeit auch sein mag, ergehen doch in vergleichbaren Fällen in aller Regel keine Urteile, sondern das Verfahren wird vielmehr nach langer Zeit aufgrund von § 153 oder § 153a der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass sich die Beweisfindung schon insofern problematisch gestaltet, als es auf dem Gebiet der Veranstaltungsplanung praktisch keine gesicherten Erkenntnisse gäbe.
Die Zeit drängt
Die 6. Strafkammer des LG Duisburg ist nunmehr vor die Herausforderung gestellt, sich in das Verfahren einzuarbeiten. Eine wahre Mammutaufgabe - schon die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft umfasst 750 Seiten, die Hauptakte besteht mit Stand von April 2016 aus 99 Ordnern mit 47.000 Blatt. Mehr als 800 weitere Ordner mit weiteren Unterlagen warten noch auf Sichtung. Jeder der zehn Angeklagten hat mehrere Verteidiger, hinzu kommen auch noch die Nebenkläger mit ihren jeweiligen Anwälten. Und für den Prozess bleibt nicht mehr viel Zeit: Am 28. Juli 2010 verstarb das letzte Opfer der Loveparade. Die absolute Verjährung sämtlicher Vorwürfe tritt zehn Jahre nach dem Tod des letzten Opfers ein. Dauert das Strafverfahren also länger als bis zum 27. Juli 2020, könnten die Angeklagten nicht mehr verurteilt werden.
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