Durch unbeirrte Hinweisgeber, die sog. Whistleblower, wurde in den vergangenen Jahren so manch übles Treiben ans Tageslicht gebracht. Ob Panama Papers im Großen oder die Ausgabe bereits abgelaufener Arzneimittel im Kleinen – ohne engagierte Hinweisgeber wäre eine Aufdeckung nicht denkbar gewesen. Damit Arbeitnehmer, die unternehmensintern alle Wege der Meldung ausgeschöpft haben und doch ungehört bleiben, auch künftig Missstände oder Rechtsverstöße an zuständige Stellen melden können, sollen Whistleblower in der EU besser geschützt werden. Wer das Whistleblowing nur als Deckmantel für eigene Zwecke missbraucht, muss jedoch weiterhin mit Konsequenzen rechnen.
Schutz von Whistleblowern
Arbeitnehmer können als Whistleblower wertvolle Hinweise liefern. Deshalb müssen sie vor Repressalien geschützt werden – denn nur, wer keine Sanktionen befürchten muss, wird seinen privilegierten Zugang zu Informationen zum Wohle der Gesellschaft nutzen.
Neue Regelungen sollen daher die Hinweisgeber vor Kündigungen und anderen Repressalien von Seiten ihrer Arbeitgeber schützen, sowie ihnen Unterstützung in möglichen Gerichtsverfahren sichern. Bis zur Umsetzung wird es allerdings noch etwas dauern: Zwei Jahre Zeit hat der nationale Gesetzgeber, um die neuen Regeln umzusetzen.
Vertragsverletzungen durch Whistleblowing
Auch wenn Meldungen durch Arbeitnehmer also grundsätzlich gewünscht sind, können sie arbeitsvertragliche Pflichtverstöße darstellen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn gegen den Arbeitgeber oder Kollegen bewusst falsche Verdächtigungen ausgesprochen werden. Wer bewusst unrichtige Angaben macht und verbreitet – etwa um sich für eine (gefühlte) Benachteiligung zu rächen – ist bereits nicht schützenswert. Das wichtige Instrument des Whistleblowings sollte also nicht für niedere Motive missbraucht werden.
Aber auch, wenn Meldungen oder Hinweise in der besten Absicht getätigt werden, kann dies unter Umständen unangenehme Folgen haben. Denn den Arbeitnehmer treffen aus dem Arbeitsvertrag Treue- und Verschwiegenheitspflichten gegen seinen Arbeitgeber, die auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen bleiben. Wird eine solche Pflicht verletzt, kann dies zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer führen oder eine Kündigung nach sich ziehen.
Kündigung nach Strafanzeige gegen Arbeitgeber?
So hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2011 zu entscheiden, ob die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin nach deren Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber zulässig war.
Die Beschwerdeführerin war bei der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH angestellt und seit 2002 in einem Altenpflegeheim tätig, in dem viele der Patienten auf spezielle Hilfe angewiesen waren. Sie selbst hatte in den Jahren 2003 und 2004 die Geschäftsleitung auf eine Reihe von Missständen, wie etwa überlastetes Personal oder die fehlerhafte Dokumentation von Pflegeleistungen, aufmerksam gemacht und diese Umstände erneut durch ein Schreiben ihres Rechtsanwalts mitgeteilt. Nachdem die Vorwürfe von Seiten der Geschäftsleitung zurückgewiesen worden waren, erstattete die Frau Strafanzeige wegen besonders schweren Betruges gegen die GmbH. Nachdem die GmbH von der Strafanzeige erfahren hatte, wurde die Beschwerdeführerin fristlos gekündigt.
Gegen die Kündigung setzte sich die Altenpflegerin zunächst erfolglos zur Wehr – nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin stellte die erstattete Strafanzeige einen „wichtigen Grund“ für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte diese Entscheidung. Die gegen die Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung an.
Abhilfe schaffte dann aber der EGMR, der in der fristlosen Kündigung einen Verstoß gegen die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sah. Denn nach Ansicht des Gerichts war das öffentliche Interesse an den durch die Strafanzeige offengelegten Information über Missstände in der Altenpflege eines staatlichen Unternehmens derart hoch, dass es gegenüber dem Interesse des Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt. Deshalb war die fristlose Kündigung gegenüber der Altenpflegerin unzulässig.
Schadensersatz bei Whistleblowing?
Gibt ein Arbeitnehmer Interna aus dem Arbeitsverhältnis weiter, stellt dies regelmäßig eine Pflichtverletzung dar. Diese müsste zur Begründung eines Schadensersatzanspruches des Arbeitgebers jedoch auch rechtswidrig sein. Das berechtigte öffentliche Interesse an den weitergegebenen Informationen könnte dabei einen Rechtfertigungsgrund in Fällen von Whistleblowing darstellen.
Zu beachten ist dabei jedoch, dass Arbeitnehmer gehalten sind, zunächst eine interne Klärung des Sachverhalts herbeizuführen. Eine Ausnahme diesbezüglich gilt in Fällen, in denen die interne zuständige Stelle bzw. die Geschäftsleitung selber in die Vorgänge verwickelt sind oder sie decken.
Verstößt der Hinweisgeber gegen die Pflicht zur internen Klärung, indem er etwa direkt eine Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden erstattet, kann dies mit Nachteilen für den Arbeitgeber verbunden sein, die im Rahmen des Schadensersatzes durch den Arbeitnehmer auszugleichen sind.
Schadensersatz für Umsatzrückgang?
Denkbar wäre hier beispielsweise eine negative Berichterstattung, die sodann für Umsatzeinbußen bei dem betroffenen Unternehmen sorgt. Damit ein möglicher Schadensersatzanspruch erfolgreich geltend gemacht werden kann, muss zunächst nachgewiesen werden, dass der eingetretene Schaden auch kausale Folge der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ist. Auch wenn dieser Nachweis gelingt, kann das Verhalten des Arbeitnehmers jedoch gerechtfertigt gewesen sein.
So wies das Landesarbeitsgericht Hamm 2011 die Schadensersatzklage eines Krankenhauses gegen eine dort beschäftigte Ärztin und deren Lebensgefährten ab. Diese hatten anonym Strafanzeigen wegen Behandlungsfehler und Mängel in der Patientenversorgung erstattet. Wegen der darauffolgenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sah sich das Krankenhaus einer anschließenden Pressekampagne ausgesetzt und erlitt damit verbunden einen Umsatzrückgang durch gesunkene Behandlungs- und Operationszahlen
Aufgrund eines erheblichen Interesses der Allgemeinheit an der Aufklärung von Straftaten, führt die Erstattung einer Strafanzeige nur unter besonderen Voraussetzungen zu einer Schadensersatzverpflichtung des Anzeigenerstatters. Da die Anzeigen gegen das Krankenhaus von den Beklagten aber weder leichtfertig noch gegen besseres Wissen erstattet worden waren, kam aus Sicht der Richter kein Schadensersatzanspruch in Betracht.
Bedeutung des Einzelfalls
Ob Schadensersatz, Abmahnung oder Kündigung: die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen Reaktion auf Whistleblowing hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich daher nicht pauschal beantworten.
Die Entscheidung, im Arbeitsverhältnis gewonnenes Wissen zum Nachteil des Arbeitgebers nach außen zu tragen, ist sorgsam und unter Beachtung aller Konsequenzen abzuwägen. Jedem, der sich mit einem derartigen Gedanken trägt, sei größte Vorsicht und ein Rechtsbeistand. Angeraten. Wir sind für Sie mit langjähriger Erfahrung im Arbeitsrecht sowie Strafrecht der richtige Ansprechpartner für eine Entscheidungsfindung und -umsetzung und zwar sowohl für Arbeitnehmer mit Meldungsanlass als auch für Arbeitgeber mit einer drohenden bzw. bereits laufenden Herausforderung im Bereich des Whistleblowings.
Dr. Granzin Rechtsanwälte
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