Wir hatten am 03.07.2020 über unsere Facebook-Seite im Rahmen eines kurzen Updates bereits darüber informiert, dass die StVO-Novelle unwirksam ist. Nachfolgend wollen wir den interessierten Lesern einen noch besseren und umfassenderen Einblick hinsichtlich des Formfehlers der StVO-Novelle geben:
Ende April diesen Jahres (am 28.04.2020) trat die Reform der Straßenverkehrsordnung in Kraft, wir hatten damals darüber berichtet (vgl. https://www.granzin-rechtsanwaelte.de/de/news/neue-stvo-scharfe-strafen-fuer-verkehrssuender/). Kernpunkt der Novelle ist neben einem besseren Schutz von Fahrradfahrern gerade auch das härtere Bestrafen von "Geschwindigkeitssündern". Fahrverbote können nach der Neuregelung viel früher und bei geringeren Verstößen verhängt werden. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 km/h innerorts und 26 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften reichen für ein Fahrverbot schon aus. Bereits kurz nach Inkrafttreten der Novelle kamen die ersten Stimmen auf, die bemängelten, dass die Maßnahmen zu streng wären. Doch nichts passierte.
Doch wie sich nun herausstellt, ist für alle, die nach dem 28.04.2020 einen Bußgeldbescheid mit Fahrverbot erhalten haben, diese „böse Post“ kein Unglück, sondern gewissermaßen geradezu ein Glücksfall.
Wir hatten bereits über den "Formfehler" der Novelle, der zur Unwirksamkeit führen soll, berichtet.
Doch „Formfehler“ hin oder her – wer nach dem 28.04.2020 einen Bußgeldbescheid erhalten hat, muss sich wehren und darf diesen nicht einfach hinnehmen. Fristen sollten in jedem Fall gewahrt werden. Nachfolgend möchten wir die Ursachen, Hintergründe und Folgen etwas ausführlicher beleuchten.
Was ist genau versäumt worden?
Der Verordnungsgeber hat gegen das sogenannte „Zitiergebot“ verstoßen. Aber worum handelt es sich dabei genau?
Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (sogenanntes „Zitiergebot“) dürfen Gesetze nur dann die Grundrechte einschränken, sofern diese Gesetze das Grundrecht unter Angabe des Grundgesetzartikels ausdrücklich benennen. Bei der StVO-Novelle handelt es sich nicht um ein Gesetz, sondern um eine Verordnung. Somit findet Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz keine unmittelbare Anwendung auf die StVO-Novelle. Eine Verordnung wird nicht – anders als Gesetze – durch das Parlament erlassen, sondern durch die Verwaltung. Dennoch darf eine Verordnung nicht „einfach so“ erlassen werden, sondern es bedarf auch hierfür einer gesetzlichen Grundlage, welche dem Anspruch des Zitiergebotes gerecht wird. Sinn einer Verordnung ist die einfachere und schnellere Präzisierung gesetzlich normierter Vorschriften. Vorliegend wurde bei der StVO-Novelle aufgrund der gesetzlichen Normen „lediglich“ der Katalog für Sanktionen im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten verschärft. Diese Verschärfung des Bußgeldkataloges durch eine Verordnung des Bundesverkehrsministeriums ist gesetzlich so gewollt, bedarf aber aufgrund der weitreichenden Folgen zusätzlich noch der Zustimmung des Bundesrates (also der Bundesländer). Das zuvor bezeichnete Zitiergebot wurde in Art. 80 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz auch explizit für Verordnungen normiert und verlangt insoweit auch bei Verordnungen, dass diese exakt die sogenannte „Ermächtigungsgrundlage“ für die jeweilige Verordnung benennen.
Vorliegend wurde die Benennung des § 26 a Abs.1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in der Präambel der neuen Verordnung schlicht und ergreifend vergessen. Dies erscheint unbedeutend, führt jedoch dazu, dass die Ermächtigungsgrundlage dafür, Fahrverbote zu verhängen, in der Verordnung schlicht fehlt und dementsprechend aufgrund dieser Verordnung keine Fahrverbote verhängt werden dürfen. § 26 a Straßenverkehrsgesetz lautet wie folgt:
„§ 26 a Bußgeldkatalog:
(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über
1. (..)
2. (..)
3. Die Anordnung des Fahrverbots nach § 25.“
Insgesamt ist hierzu nochmals festzuhalten, dass eine exakte Kette aus Vorschriften genannt sein muss, damit eine Verordnung oder ein entsprechendes Gesetz wirksam ist. Das Ganze klingt etwas formalistisch und rechtsdogmatisch, hat jedoch einen einfachen und bedeutenden Zweck. Der Sinn dieser strengen Formvorschriften liegt darin, dass es keinem Gesetzgeber und/oder keiner Regierung in Form von Verordnungen möglich sein soll, „unbemerkt“ die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken oder auszuhöhlen. Entsprechend ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - aus früheren ähnlich gelagerten Fällen - führt ein Verstoß gegen das Zitiergebot zur Unwirksamkeit des jeweiligen Gesetzes oder der entsprechenden Verordnung, da der Verordnungsgeber ohne Angabe der Ermächtigungsgrundlagen seine Rechtsetzungsbefugnis nicht vollständig nachweist (vgl. BVerfGE 101, 1 <42, 44>; 136, 69 <113 Rn. 99> m.w.N.).
Welche Folgen treten daher ein?
Dies heißt konkret, dass aufgrund des Formfehlers die Fahrverbote, welche durch die Verordnung bei „geringeren“ Verstößen, d.h. quasi schneller verhängt werden können, allesamt aufgrund einer unwirksamen Verordnung verhängt werden würden. Die Fahrverbote dürfen daher mangels Rechtsgrundlage nicht verhängt werden. Rein rechtstheoretisch betrifft diese Unwirksamkeit eigentlich nur die Fahrverbote, da die anderen Ermächtigungsgrundlagen zutreffend bezeichnet wurden. Dies würde nun aber heißen, dass ein (im Vergleich zum vorherigen Bußgeldkatalog vor dem 28.04.2020) höheres Bußgeld rechtmäßig verhängt werden könnte, jedoch das dazugehörende Fahrverbot nicht. Hierbei wird ein weiteres erhebliches Problem erkennbar:
Durch diese „Teilnichtigkeit“ der Verordnung wird das Prinzip der Rechtssicherheit erheblich belastet. Dieses gilt als ein Kerngrundsatz des Rechtsstaatsprinzips, d.h. jeder hat einen Anspruch darauf, dass die Klarheit, Beständigkeit und Vorhersehbarkeit der Rechtsnormen gegeben ist. Es ist insoweit leicht nachvollziehbar, dass in einem Rechtsstaat der einfache Bürger die Möglichkeit haben muss, eindeutig vorab zu wissen, welche Strafe für welches Verhalten gegeben wäre.
Ist nur ein Teil der Verordnung unwirksam, stellt sich die Frage, inwiefern die anderen theoretisch wirksamen Normen weiterhin angewendet werden können/dürfen und inwiefern sodann „die alten“ Vorschriften und die „neuen“ kombiniert werden könnten.
Und genau hierbei liegt dann die „Krux“. Dies lässt sich bei zwei unterschiedlichen Bußgeldkatalogen nicht eindeutig feststellen. Für Bußgeldbehörden und Gerichte kann dies kein „Wunschkonzert“ zu Lasten der Betroffenen sein. Diese Unsicherheit in der Rechtsanwendung, welche der Gesetzgeber, vorliegend das Bundesverkehrsministerium, verursacht hat, kann und darf einfach nicht zu Lasten der Bürger gewertet werden. Die logische Konsequenz ist folglich, dass die neue Verordnung vollständig ausgesetzt wird und erst nach einer Überarbeitung angewendet werden kann. Dies ist mittlerweile auch durch alle Bundesländer geschehen. Alle Bundesländer haben die Anwendung der StVO-Novelle ausgesetzt und in den meisten Ländern wird wieder der alte Bußgeldkatalog angewendet. Dennoch gibt es einzelne Verfahren, welche zuvor bereits in die Wege geleitet worden sind (Anhörungsbögen oder Bußgeldbescheide wurden bereits versendet).
Für die Betroffenen heißt es, dass Bußgeldbescheide in nächster Zeit nicht einfach ungeprüft bezahlt und hingenommen werden sollten. Vielmehr sollte stets geprüft werden, ob der jeweilige Bescheid auf der neuen Novelle beruht und damit mit Erfolg angegriffen werden kann. Gerne unterstützen wir Sie dabei und verleihen Ihrer Stimme den erforderlichen Nachdruck.
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