Sterbehilfe – Wer soll in Zukunft entscheiden?

Wir begreifen uns als eine vom Wert der Freiheit geprägte Gesellschaft, betrachten uns als selbstbestimmte Individuen, aber wie frei sind wir wirklich, wenn das Ende unseres Lebens naht? Ist ein Mensch unheilbar erkrankt und leidet er unter großen Schmerzen, so ist der Wunsch nach Beendigung dieses Leidens bei Betroffenen und Angehörigen naheliegend.

Erst unlängst wurde das Thema Sterbehilfe nun wieder aktuell: Ausgehend von einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem Schwerkranke in „extremen Ausnahmesituationen“ zukünftig Sterbehilfe erhalten dürfen, ist diese schwierige Debatte erneut in die Medien gelangt.

Erst im November 2015 hatte der Deutsche Bundestag nach langem Ringen ein gesetzliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe beschlossen, danach wurde es lange Zeit still um das Thema. Diese Entscheidung ist nach wie vor umstritten, mehrere Verfahren gegen das Gesetz sind vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Auch in Hinblick darauf könnte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig jetzt weitreichende Folgen haben.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Sterbehilfe

Geklagt hatte ein Mann, dessen Ehefrau infolge eines Unfalls querschnittsgelähmt und auf ständige medizinische Betreuung angewiesen war. Sie traf daher 2004 die Entscheidung, ihrem Leben ein Ende zu setzen und beantragte bei der zuständigen Behörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Genehmigung zum Kauf einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Das BfArM lehnte den Antrag jedoch ab, sodass die Frau sich schließlich 2005 mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas das Leben nahm.

Gegen die Entscheidung der Behörde klagte sich der Ehemann der Verstorbenen durch mehrere Instanzen. Er hält die Ablehnung für rechtswidrig und sieht durch sie das Recht auf Selbstbestimmung verletzt – in Leipzig hat er nun Recht bekommen. Zwar steht die Begründung des Urteils im Detail noch aus, aber es könnte für ähnlich gelagerte Fälle einen bisher versperrten Weg eröffnen. Grundsätzlich wird es zwar weiterhin nicht möglich sein, assistierte Sterbehilfe zu leisten, aber angesichts einer „unerträglichen Leidenssituation“ soll der Staat den Zugang zu Betäubungsmitteln künftig nicht verwehren dürfen. Wie genau sich dieser – recht vage – Bewertungsmaßstab in der Zukunft auf vergleichbare Fälle übertragen lässt, bleibt vorerst noch offen.

Schon aus diesem Grund ist das jüngste Urteil ein gebotener Anlass, um das Thema Sterbehilfe noch einmal aus der strafrechtlichen Perspektive zu beleuchten. Bei näherer Betrachtung stellt sich die geltende Rechtslage nämlich nicht gerade einfach dar, denn genau genommen handelt es sich um eine rechtliche Grauzone, deren Begriffe trennscharf voneinander abzugrenzen, nicht immer gelingt.

Welche Arten von Sterbehilfe werden unterschieden?

Es gilt: Sterbehilfe ist nicht gleich Sterbehilfe. Sie lässt sich in vier unterschiedliche Arten unterteilen:

  1. Aktive Sterbehilfe Hier wird der Tod eines Patienten bewusst und aktiv herbeigeführt, etwa durch die Verabreichung eines zu hoch dosierten Schmerz- oder Betäubungsmittels. Diese Form der Sterbehilfe ist in Deutschland strikt verboten.
  2. Passive Sterbehilfe Bei der passiven Sterbehilfe wird darauf verzichtet, das Leben des Patienten künstlich zu verlängern. Auf Wunsch des Sterbewilligen werden lebenserhaltende Maßnahmen wie etwa künstliche Ernährung, Beatmung oder Bluttransfusionen eingestellt. Er erhält eine schmerzlindernde Behandlung, Grundpflege und Seelsorge werden weiterhin beibehalten. Bei entsprechendem Willen des Patienten bleibt ein solches Vorgehen straflos.
  3. Indirekte Sterbehilfe Hier steht die Linderung der Leiden des Patienten im Vordergrund. Auf dessen Wunsch verabreicht der Arzt schmerzlindernde Medikamente, beispielsweise Morphin. Eine mögliche lebensverkürzende Wirkung ist zwar nicht beabsichtigt, wird aber in Kauf genommen. Lindern Medikamente also das Leiden des Betroffenen, während sie gleichzeitig das Risiko des Todeseintritts erhöhen, so ist auch diese Maßnahme als eine Form der Sterbehilfe anzusehen. Unter Zustimmung des Patienten ist sie in Deutschland zugelassen.
  4. Assistierte Sterbehilfe Hierbei wird dem Betroffenen ermöglicht, in einem geschützten Rahmen selbst Suizid zu begehen, etwa indem ihm ein tödliches Gift oder Schlafmittel verschafft wird. Wichtig ist, dass der Patient noch in der Lage ist, sich die Medikamente selbst zuzuführen – bei der Handlung darf kein anderer seine Hand führen. Grundsätzlich ist eine solche Beihilfe zum Suizid in Deutschland straffrei. Etwas anderes gilt theoretisch für Ärzte: Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten, ansonsten drohen berufliche Konsequenzen bis hin zum Entzug der Approbation. So heißt es zumindest in § 16 der Muster-Berufsordnung, wie sie als Empfehlung vom Deutschen Ärztetag beschlossen wurde. Es zeigt sich, dass schon eine klare Abgrenzung der einzelnen Vorgehensweisen unter Umständen schwierig sein kann. Besonders problematisch gestaltet sich eine klare Trennung von aktiver und indirekter Sterbehilfe, da die Übergänge fließend sind. Ausgehend vom aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befinden wir uns aber in einer Debatte um die Zulässigkeit der Suizidbeihilfe, also konkret bei der Frage, ob der Staat dafür Sorge tragen muss, dass ein Patient den Zugang zu einem todbringenden Medikament erhält. Geschäftsmäßige Suizidassistenz bliebe nach dem Willen des Gesetzgebers dann weiterhin untersagt, aber dennoch könnte eine Behörde von nun an verpflichtet sein, genau zu prüfen, ob in einer Ausnahmesituation der Zugang zu einem tödlichen Betäubungsmittel nicht doch gewährt werden muss. Daran knüpfen sich vor allem praktische Bedenken, denn: Ist es überhaupt möglich, für jeden Einzelfall genau zu prüfen, ob ein solcher extremer Ausnahmefall gegeben ist? Höchst problematisch ist die Situation nicht zuletzt auch in Anerkennung der Tatsache, dass wir uns bei der Bewertung solcher Fragen nicht in einem Bereich objektiver Kriterien befinden. Menschliches Leid ist schwer messbar, und was für den einen solch eine „extreme Ausnahmesituation“ sein kann, ist es für einen anderen längst noch nicht.

Die Patientenverfügung

2009 trat ein Gesetz in Kraft, das die sogenannten Patientenverfügung einführte. Durch sie erhalten Patienten die Möglichkeit, für den Eventualfall Vorsorge zu treffen. In einer Patientenverfügung wird festgelegt, was gelten soll, wenn man nicht mehr selbst entscheiden kann – an diesen Willen des Patienten müssen sich Ärzte und Angehörige dann halten. Längst nicht alle machen jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch und können damit nach einem Unfall oder bei schwerer Krankheit unter Umständen nicht mehr entscheiden, welche Maßnahmen zur ihrer Behandlung ergriffen werden sollen. Wer also im Zweifelsfalls nicht künstlich am Leben erhalten werden möchte, sondern stattdessen ein selbstbestimmtes Ende vorzieht, sollte rechtzeitig mittels einer Patientenverfügung das in seiner Macht stehende tun.

Dies gilt unabhängig von einer erneut entstehenden gesellschaftlichen Debatte zum Thema Sterbehilfe. Denn eine solche wird notwendig sein, um Fragestellungen des Verhältnisses von Staat zu einzelnen Bürgern im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Suizidprävention zu klären. Das Ziel sollte eine staatliche Regelung sein, die den Einzelnen in seiner Würde zu schützen vermag und dabei nicht den Blick für das individuelle Schicksal verliert – eine schwierige Balance.

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