Polizeiaufgabengesetz – Vom Freistaat in den Überwachungsstaat?

Der bayerische Landtag hat kürzlich das bayerische Polizeirecht verschärft. Damit zieht der Freistaat nach – bereits in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern wurden verschärfte Polizeigesetze verabschiedet, in weiteren Bundesländern sind Debatten diesbezüglich im Gang. Bayern hat die Befugnisse der Polizei bislang am stärksten ausgeweitet und erntete dafür teilweise heftige Kritik. Allein in München demonstrierten 30.000 Menschen gegen die Gesetzesänderung. Das umstrittene Polizeiaufgabengesetz soll nach Ansicht des Ministerpräsidenten Markus Söder „Leben retten und Menschen helfen, nicht Opfer zu werden“. Warum die Novellierung so heftig diskutiert wird und welche neuen Befugnisse die bayerische Polizei erhalten soll, erklären wir im heutigen Beitrag.

Welchen Hintergrund hat das neue Gesetz?

Die Verschärfungen der Polizeigesetze wurden von den Bundesländern vor allem mit der gestiegenen Gefahr durch den Terrorismus begründet. Auch ein diffuses Unsicherheitsgefühl vieler Bürger, dass sich in Forderungen nach strengeren Gesetzen äußert, dürfte die Maßnahmen begünstigt haben. Zudem sollten die Polizeiaufgabengesetze an die neuen Datenschutzrichtlinien der EU angepasst werden – das neue Gesetz will also auch den Datenschutz stärken. Dieses Anliegen gerät allerdings zumindest beim bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) ein wenig ins Hintertreffen: Die bayerische Staatsregierung sorgte nämlich mit der Ausweitung der Polizeibefugnisse für das schärfste Polizeirecht der deutschen Nachkriegsgeschichte und handelte sich damit jede Menge Kritik ein.

Das Problem der „drohenden Gefahr“

Im Zentrum der Diskussion steht in erster Linie der polizeiliche Gefahrbegriff. Er ist zentral für alle polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Bisher bedurfte die bayerische Polizei einer „konkreten Gefahr“ als Voraussetzung für bestimmte präventive polizeiliche Maßnahmen. Von einer konkreten Gefahr spricht man, wenn im entsprechenden Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist. Nach dem neuen PAG sollen jetzt aber auch Eingriffe ohne konkrete Gefahr möglich sein: Über den Begriff der „drohenden Gefahr“ wird der mögliche Ansatzpunkt für bestimmte polizeiliche Maßnahmen deutlich vorverlagert. Die bayerische Polizei müsste demnach etwa bei der Telefonüberwachung nicht mehr über ausreichend konkrete Tatsachen und Anhaltspunkte verfügen, um aufgrund einer begründeten Gefahrprognose gegen einen Verdächtigen vorgehen zu können. Dies soll allerdings nur dann gelten, wenn bedeutende Rechtsgüter gefährdet sind. Weiterhin gilt natürlich, dass die Polizei bei präventiven Maßnahmen nicht auf eigene Faust entscheiden darf. Eingriffe zur Gefahrenabwehr, wie etwa das Abhören von Telefonen oder eine Onlinedurchsuchung bedürfen nach wie vor der richterlichen Genehmigung.

Der Begriff der drohenden Gefahr ist zu unbestimmt

Der Begriff der „drohenden Gefahr“ wirft erhebliche Probleme auf, manche Kritiker halten ihn sogar für verfassungswidrig. Zu vage sei er, um derart tief in Grundrechte der Bürger eingreifen zu dürfen. Ursprünglich war die mit der „drohenden Gefahr“ verbundene Absenkung der Eingriffsvoraussetzungen auch nur für den Bereich des Terrorismus vorgesehen. Dass er nun im neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz auf eine ganze Reihe polizeilicher Befugnisse angewendet werden soll, weicht zumindest die Kategorien von Bedarfsfällen auf, in denen die Polizei besondere Befugnisse benötigt. Befürworter der neuen Regelung sind aber der Meinung, die Polizei müsse mit neuen Herausforderungen an die innere Sicherheit Schritt halten können. Als besonders kritisch wird aber die mangelnde Bestimmtheit des Begriffs der „drohenden Gefahr“ angesehen. Ob er eine ausreichende Trennschärfe bei der Beurteilung von Gefahrensituationen ermöglicht, wird letztlich für jede der zwanzig Regelungen, bei denen künftig eine „drohende Gefahr“ genügen soll, gesondert beurteilt werden müssen.

Welche neuen Befugnisse sieht das PAG vor?

Neben dem vieldiskutierten Gefahrbegriff sind auch zahlreiche neue Befugnisse der bayerischen Polizei umstritten.

Hierunter fällt beispielsweise die Ausweitung des Einsatzes von Körperkameras, den sogenannten „Bodycams“. Beamte sollen sie zukünftig einsetzen können, ohne dass diese Maßnahme anschließend durch einen Richter bestätigt werden müsste. Auch den Einsatz in Wohnungen sieht das neue PAG vor.

Ebenfalls neu ist die Anwendung der „erweiterten DNA“, also der Auswertung von DNA-Spuren schon zu Fahndungszwecken. Wie ein Fahndungsbild soll sie Aufschluss über die äußeren Merkmale einer Person geben, beispielsweise über Geschlecht, Augen- und Haarfarbe oder die Herkunft. Auf diese Weise soll der Kreis der potentiellen Gefährder eingegrenzt werden. Informationen zu Krankheiten oder Erbanlagen dürfen allerdings nicht gewonnen. Diese Maßnahme zählt zu denjenigen, die schon bei Vorliegen einer „drohenden Gefahr“ angewendet werden dürfen. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang insbesondere der geringe Verdachtsgrad, der einem schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte der betroffenen Personen gegenübersteht.

Eine gewöhnliche DNA-Analyse soll die Polizei nach dem bayerischen PAG auch schon zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchführen dürfen.

Auch in technischer Hinsicht werden die Befugnisse der bayerischen Polizei ausgeweitet. So ist zum Beispiel zukünftig der Zugriff auf Cloud-Speicher vorgesehen, ebenso wie eine Reihe weiterer Befugnisse rund um die Datenverarbeitung. Auch dies ist unter Freiheitsaspekten nicht unproblematisch.

Briefe und Pakete sollen durch die Polizei schon bei „drohender Gefahr“ sichergestellt werden können. Damit will die bayerische Staatsregierung mit Entwicklungen rund um das sogenannten „Darknet“ Schritt halten, dass es ermöglicht, etwa Drogen oder Waffen online zu bestellen und per Post liefern zu lassen.

Viel Aufregung um Handgranaten

Aber nicht jeder brisanten Neuerung rund um das bayerische Polizeiaufgabengesetz ist blind Glauben zu schenken. So ist beispielsweise die mit viel Empörung verbreitete Behauptung, dass jeder Streifenpolizist zukünftig eine Handgranate mit sich führen dürfe, reichlich überspitzt. Diese dürfen aber auch nach dem neuen PAG nicht von Streifenpolizisten oder bei Verkehrskontrollen eingesetzt werden, sondern nur von zwei Spezialeinsatzkommandos in München und Nürnberg, wobei hierfür zusätzlich die Anordnung des Polizeipräsidenten notwendig ist.

Ist das PAG notwendig?

Befürworter der neuen Regelungen argumentieren damit, dass die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei während der letzten Jahre immer weiter reduziert worden seien. Durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seien viele Befugnisse der Polizei auf der Strecke geblieben, sodass das neue Polizeiaufgabengesetz letztlich notwendig sei, um eine schlagkräftige Polizei mit den ausreichenden Kompetenzen zur effektiven Gefahrenabwehr auszustatten.

Verfassungsbeschwerden bereits angekündigt

Dieser Meinung sind aber bei weitem nicht alle. Kritiker sehen in dem „Überwachungsstaatsgesetz“ einen Ausdruck des Misstrauens gegen die Bevölkerung. So überrascht es dann auch nicht, dass bereits mehrere PAG-Gegner angekündigt haben, verfassungsrechtlich gegen das umstrittene Gesetz vorzugehen. Nicht in München, sondern in Karlsruhe wird dann aller Voraussicht nach darüber entschieden werden, ob und wie das Gesetz in Verhältnismäßigkeit zu den drohenden Grundrechtseingriffen zu setzen ist.

Sollten Sie rechtlichen Rat oder Beistand rund um Fragen des Strafrechts benötigen, stehen wir – Dr. Granzin Rechtsanwälte – ihnen auf diesem Gebiet gerne mit unserer langjährigen Erfahrung zur Seite.

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