Kriminelle Senioren – Lebensabend im Gefängnis?

Deutschland wird immer älter, der demografische Wandel ist längst anerkannte Tatsache. Niedrige Geburtenzahlen und die steigende Lebenserwartung treiben das Durchschnittsalter der Deutschen immer weiter nach oben. Die Wirtschaft und insbesondere auch die sozialen Sicherungssysteme werden durch diese Entwicklung vor große Herausforderungen gestellt. Aber auch vor den Gefängnistoren macht der demografische Wandel nicht halt: Denn wenn immer mehr Menschen immer älter werden, nimmt auch die Zahl krimineller Senioren zu. Welche Probleme ergeben sich daraus für den Strafvollzug und wie sollte unsere Gesellschaft mit diesem Phänomen zukünftig umgehen? Diese Fragen wurden jüngst wieder aktuell, wie der Fall einer 84-jährigen Frau zeigt: Die einschlägig vorbestrafte Frau wurde wegen eines Diebstahls im Bagatellbereich zu einer Haftstrafe verurteilt. Kein Einzelfall, denn immer wieder stehen Rentner in spektakulären Prozessen vor Gericht. Aber wie kriminell ist die Altersgruppe ab 60 Jahren im Alltag wirklich?

 

Ladendiebstähle, Verkehrsdelikte und Beleidigung

 

Zwar sind nur ungefähr sieben Prozent der von der Polizei ermittelten Straftäter über 60 Jahre oder älter. Das ist der geringste Anteil aller strafmündigen Altersgruppen. Aber: Der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung wächst stetig und immer mehr von ihnen erreichen ein hohes Alter auch mit zunehmender Vitalität. Angesichts dessen ist damit zu rechnen, dass der Anteil der Tatverdächtigen und Täter in diesem Alterssegment weiterhin ansteigen wird.

 

Allerdings verüben Senioren seltener Gewaltverbrechen. Am ehesten fallen sie wegen einfachen Diebstahls, Beleidigung und wegen Straßenverkehrsdelikten auf. Fast die Hälfte aller Verurteilungen in der Altersgruppe ab 60 Jahre entfallen auf Delikte im Straßenverkehr. Zumindest diese lassen sich zu einem Teil als typische Erscheinung des Alterungsprozesses einordnen, etwa durch verminderte Konzentrations- und Reaktionsfähigkeiten oder eingeschränkte motorische Fähigkeiten.

 

Ganz überwiegend handelt es sich bei der Alterskriminalität also um sogenannte „Bagatellkriminalität“. Umso begieriger stürzt sich die Boulevardpresse dann auf die wirklich außergewöhnlichen Fälle. Die von den Medien stilisierten „Drogen-Omas“ oder „rüstige Raub-Opas“ sind allerdings die Ausnahme, nicht die Regel.

 

Ebenfalls bemerkenswert: Etwa drei Viertel der älteren Tatverdächtigen werden zum ersten Mal registriert, haben also zuvor keine erfasste Straftat begangen. Das könnte aber teilweise auch daran liegen, dass älteren Menschen mit größerer Toleranz begegnet wird und potentielle Anzeigeerstatter sie nicht als Bedrohung wahrnehmen.

 

[caption id="attachment_3316" align="aligncenter" width="1000"] vchal / shutterstock[/caption]

 

Mögliche Ursachen für Alterskriminalität

 

Was aber lässt ältere Menschen, die vielleicht nie zuvor in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind, kriminell werden? Eine Erklärung könnten tiefgreifende Veränderungen im Alltag sein, etwa nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oder durch Tod oder Krankheit von Partnern und Freunden. Das Selbstwertgefühl sinkt womöglich, soziale Bindungen werden geschwächt und gleichzeitig steht ein bisher ungekanntes Maß an Freizeit zur Verfügung. Diese Kombination aus zu viel Zeit und abgeschwächter sozialer Kontrolle, erhöht die Wahrscheinlichkeit für Tatgelegenheiten.

 

Das oft bemühte Klischee des armen Rentners, der auf kriminelle Weise sein Budget aufbessern will, hält einer genaueren Nachprüfung damit nicht stand. Vielmehr scheint bei einem Teil der älteren Menschen die Fähigkeit zu sinken, sich regelkonform zu verhalten. Es wird weniger Rücksicht auf das soziale Umfeld und Belange des Gemeinwohls genommen, sodass schlussendlich Straftaten verübt werden, die im Alter von 40 oder 50 Jahren vielleicht noch völlig undenkbar gewesen wären.

 

Und die Konsequenzen?

 

Bei Verdächtigen im fortgeschrittenen Alter stellt die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren häufig ein. Dies gilt insbesondere bei Ersttätern. Kommt es aber zum Prozess und schließlich zu einer Verurteilung, warten viele weitere Probleme auf die Justiz. Fraglich ist nämlich, wie sinnvoll und legitim eine Bestrafung von Menschen ist, die bereits ein hohes Lebensalter erreicht haben.

Das zentrale Anliegen unseres Strafrechts ist die Resozialisierung, also das Einwirken auf den Täter, der auf diese Weise befähigt werden soll, zukünftig ohne Straftaten zu leben. Ältere Menschen, die den Großteil ihres Lebens bereits hinter sich haben, noch erziehen zu wollen, erscheint verfehlt bis unmöglich. Damit kommen alternative Strafen, wie sie etwa im Jugendstrafrecht üblich sind, nicht in Betracht. Wenn auch eine Geldstrafe nicht in Frage kommt oder der Verurteile diese nicht zahlen kann, bleibt häufig nur noch die Freiheitsstrafe. Gerade an diese Form der Bestrafung knüpfen sich mit steigendem Lebensalter der Inhaftierten aber auch zahlreiche Probleme.

 

[caption id="attachment_3315" align="aligncenter" width="1000"] zapomicron / shutterstock[/caption]

 

Immer mehr Senioren sitzen in Haft

 

Ältere Strafgefangene haben andere Bedürfnisse als ihre jüngeren Haftgenossen, sie sind haftempfindlicher und leiden oft unter dem Klima von Stress und Gewalt. Und: Wo sich in der Regel die Stärkeren gegen die Schwächeren durchsetzen, werden Senioren häufig zu den Verlieren gehören. Einige Gefängnisse haben daher gesonderte Abteilungen gerade für ältere Häftlinge eingerichtet. Und sogar ein ganzes Seniorengefängnis gibt es – die Justizvollzugsanstalt Singen ist bundesweit das einzige seiner Art. Dahinter steht ein ganz pragmatisches Ziel: Wenn jüngere und ältere Häftlinge ihre Haftstrafen getrennt voneinander verbüßen, gibt es weniger altersbedingte Konflikte.

 

In der JVA Singen ist der jüngste Häftling 62 Jahre alt, der älteste 85. Das durchschnittliche Strafmaß liegt bei fünf Jahren, zwei Drittel der Gefangenen sind Ersttäter.

 

Vieles unterscheidet sich hier vom normalen Gefängnisbetrieb. Weil bei ihnen keine Ausbruchsversuche zu befürchten sind, dürfen sich die Häftlinge tagsüber frei auf dem Gelände der Haftanstalt bewegen. Auch die Besuchszeiten sind hier großzügiger als anderswo. Während Häftlinge ansonsten nur zwei Stunden Besuch pro Monat bekommen dürfen, sind es in der JVA Singen sechs Stunden. Auch spezielle Sportangebote kommen den Häftlingen entgegen. Meditationsgruppen, Kochkurse, Altengymnastik und Gesprächsrunden – das klingt nicht unbedingt nach Gefängnis. Nicht alle sehen diese Art des Strafvollzugs positiv. Es handele sich gewissermaßen um ein „Gefängnis Light“, in dem die Strafe ins Hintertreffen gerate, so oder so ähnlich argumentieren Kritiker des Seniorengefängnisses.

 

Allerdings darf man bei allen Annehmlichkeiten nicht vergessen, dass ältere Menschen ihre Haftstrafe mit einer ganz anderes Perspektive verbüßen als jüngere Insassen. Was erwartet einen alten Menschen, wenn er nach jahrelanger Haftstrafe zurück in die Freiheit gelangt?  Eine Rückkehr ins Arbeitsleben ist häufig keine realistische Option mehr, soziale Bindungen leiden unter der Inhaftierung und einige Insassen haben große Schwierigkeiten, sich überhaupt wieder an ein selbstständiges Leben zu gewöhnen.

 

Mit immer mehr älteren Straftätern sieht sich der Strafvollzug vor eine Herausforderung gestellt. Allein schon, weil viele Gefängnisse derzeit nicht altersgerecht ausgestattet sind. Schmale Gänge, Treppen statt Aufzüge und dergleichen mehr sind oft die Regel. Auf  die neuen Anforderungen die mit der sich ändernden Altersstruktur verbunden sind, werden die Haftanstalten reagieren müssen. Aber: Ein Gefängnis ist kein Pflegeheim und soll es auch nicht werden. Allzu gebrechliche Senioren oder wirklich Pflegebedürftige werden in ein Justizvollzugskrankenhaus verlegt oder bekommen einen Hafterlass. Auch abseits des Praktischen muss sich jedoch der Frage gewidmet werden, wie das Strafrecht der Kriminalität älterer Menschen sinnvoll begegnen kann.

 

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