Im Namen des Volkes – Mehr Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren

Kameras im Gerichtssaal? Das scheint so gar nicht zur deutschen Justiz zu passen und weckt eher Assoziationen zu Gerichtsfernsehen nach US-Vorbild. In den meisten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten dürfen Gerichtsverhandlungen gefilmt und im Fernsehen übertragen werden. Der wohl berühmteste Fall dürfte das OJ-Simpson-Verfahren aus dem Jahre 1995 sein: Der aufsehenerregende Prozess wurde live übertragen und mehr als 150 Millionen Zuschauer sollen damals die Urteilsverkündung verfolgt haben. Deutschland zeigt sich in dieser Hinsicht medial deutlich zurückhaltender, hier bleibt die Welt der Gerichtssäle dem Fernsehzuschauer bisher entzogen. Die Bilder, die Nicht-Juristen beim Gedanken an Gerichtsprozesse in den Sinn kommen, finden ihren Ursprung wohl zumeist in Anwaltsserien aus dem Vorabendprogramm und haben mit der Realität im Allgemeinen nicht viel zu tun. Immer wieder gab es aber auch Beschwerden über das Verbot von Film-und Fernsehaufnahmen, das insbesondere von Journalisten als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde. Nach langer Diskussion beschloss der Bundestag im vergangenen Sommer schließlich das Gesetz „über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren“ (EMöGG). Bis die wesentlichen Änderungen in Kraft treten dauert es zwar noch ein halbes Jahr, aber dennoch: Ab April wird es Kameras bei den Bundesgerichten geben. Bis zu diesem Schritt war es ein weiter Weg.

 

Was bedeutet eigentlich „öffentlich“?

 

In Deutschland sind Gerichtsverhandlungen öffentlich. So schreibt es § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vor: „Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich.“ Die Medienöffentlichkeit wird dabei gesondert behandelt, denn im Jahre 1964 wurde die Regelung so ergänzt, dass während der Verhandlung keine Ton-und Fernsehaufnahmen zulässig sind. Gemäß § 169 S. 2 GVG sind Fernsehaufnahmen seitdem nur vor oder nach der Verhandlung, sowie in den Pausen oder außerhalb des Gerichtssaals. Ein Gerichtsverfahren ist somit bislang zwar öffentlich im Sinne der sog. Saalöffentlichkeit, nicht aber für diejenigen, die selbst nicht anwesend sind und über Ton-und Filmaufnahmen nur indirekten Zugang zur Verhandlung erhalten hätten. Ausnahmen gibt es nur beim Bundesverfassungsgericht. Dort kann der Ton von Verhandlungen und Urteilsverkündung in einen separaten Presseraum übertragen werden. Zudem dürfen der Beginn der mündlichen Verhandlung und die öffentliche Verkündung von Entscheidungen im Fernsehen gesendet werden.

 

Hintergrund der Vorschrift

 

Warum sollte eine Verhandlung aber überhaupt öffentlich sein? Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, ein faires Verfahren zu gewährleisten und den Angeklagten vor willkürlicher Verurteilung schützen. Auf diese Weise wird das Entstehen einer Geheimjustiz verhindert und das staatliche Handeln kontrolliert. Recht soll also nicht im stillen Kämmerlein gesprochen werden. Dass „Öffentlichkeit“ dabei nicht gleichzusetzen ist mit „Medienöffentlichkeit“ hat jedoch ebenfalls gute Gründe. Das Verbot von Bild- und Tonaufnahmen gewährleistet den ungestörten Ablauf des Verfahrens und stärkt so die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Justiz. Von großer Bedeutung sind auch die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten, die durch das Verbot geschützt werden sollen. Viele Angeklagte oder auch Zeugen würden sich vermutlich in Anwesenheit von Kameras scheuen, persönliche oder belastende Umstände zu erklären. Die ungestörte Wahrheitsfindung rechtfertige schon deshalb das Verbot - so oder so ähnlich wurde in der Vergangenheit häufig argumentiert.

 

[caption id="attachment_3285" align="aligncenter" width="1000"] Zoran Ras / shutterstock[/caption]

 

Verbot nicht mehr zeitgemäß?

 

In der Vergangenheit wurden jedoch auch immer wieder Stimmen laut, die diese Regelung als längst überholt empfanden. Schließlich stammt das Verbot aus den 1960er-Jahren, also einer Zeit ganz ohne Smartphones oder Online-Berichterstattung. Der so gewandelten Medienlandschaft müsste sich die Justiz anpassen – so sahen es insbesondere Journalisten, die sich in der Vergangenheit häufig über erschwerte Arbeitsbedingungen in Zusammenhang mit Gerichtsprozessen beschwerten. Wenn man twittern dürfte, Ton- und Bildaufnahmen aber weiterhin verboten bleiben, könne dies nicht mehr zeitgemäß sein. In diesem Sinne stellt die kommende Lockerung nur den natürlichen Fortschritt dar, mit dem sich unser Rechtssystem an die moderne Mediengesellschaft anpasst. Dem ließe sich natürlich entgegenhalten, dass die Presse besonders gerne über das Skandalöse berichtet. Üblicherweise erregen Gerichtsprozesse nur relativ selten das breite Interesse der Öffentlichkeit. Meist handelt es sich bei diesen Fällen um Strafprozesse, bei denen die Gefahr einer „Prangerwirkung“ durch de Berichterstattung besonders hoch ist. Auch das Medienbild der Richter ist überwiegend skeptisch – sie wollen nicht gezwungen werden, vor laufenden Kameras zu sprechen. Wie also soll nun eine Regelung aussehen, die allen berechtigten Interessen Rechnung trägt?

 

Was soll sich zukünftig ändern?

 

Vorab bleibt festzuhalten: Von spektakulärem Court-TV nach amerikanischem Vorbild kann auch zukünftig keine Rede sein. Vielmehr kann zukünftig in eingeschränktem Maße über die Saalöffentlichkeit hinausgegangen werden, indem der Ton der Verhandlung gerichtsintern in einen Raum für Medienvertreter übertragen wird.

Die wohl bedeutendste Neuerung stellen wohl allerdings Ton-und Bildaufnahmen der Entscheidungsverkündung der Bundesgerichte dar. In besonderen Fällen, können Kameras die Entscheidungen dieser Gerichte aufnehmen und übertragen. Eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung der Fälle ist dafür nicht erforderlich.

Die Bundesgerichte sind die fünf obersten Gerichtshöfe in Deutschland, nämlich: Der Bundesgerichtshof, das Bundessozialgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesarbeitsgericht. Damit wird also die Rechtspraxis, die bereits für das Bundesverfassungsgericht gilt, auf alle Bundesgerichte erweitert.

Zu historischen und wissenschaftlichen Zwecken können bei Verfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland Tonaufnahmen von Verhandlung und Urteilsverkündung angefertigt werden. Diese Änderung soll dazu beitragen, mithilfe der Aufnahmen eine umfassendere Aufarbeitung durch historisch Interessierte zu ermöglichen. Spannend wird in diesem Zusammenhang die Frage sein, wann genau einem Prozess „herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung“ zukommt, wann er also gewissermaßen historisch ist.

 

[caption id="attachment_3287" align="aligncenter" width="1000"] Andrey_Popov / shutterstock[/caption]

 

Insgesamt muten die Änderungen also sehr gemäßigt an. Sie sind zudem vor allen Dingen auch einzelfallbezogen anzuwenden. Für jeden Prozess müssen also die widerstreitenden Interessen in einen möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden. Das letzte Wort haben dabei die Richter: Mit ihren unanfechtbaren Ermessensentscheidungen haben sie es in der Hand, sich der Medienpräsenz aufgeschlossen zu zeigen oder aber den Lockerungen einen Riegel vorzuschieben.

 

Ist das alles – oder kommt noch mehr?

 

Reißerische Berichterstattung, Bilder von weinenden Opfern, aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen – für all dies sind die Änderungen nicht gedacht. Dennoch besteht die Befürchtung, die zaghaften Lockerungen könnten erst der Anfang sein. Unbedingte Grenze jeder Berichterstattung müssten die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sein. Und gerade die könnten im Zuge der Änderungen eher gefährdet sein als bisher. Fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten sollen die neuen Regelungen daher evaluiert werden, um mit den bis dahin gewonnenen Erkenntnissen die Diskussion fortzuführen. Zunächst wird sich zeigen müssen, wie Justiz einerseits und Medienvertreter andererseits auf die Lockerung reagieren und wie praktikabel die neuen Regelungen sind.

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