Die Corona-Pandemie bestimmt seit März unseren Alltag, gerade auch im Hinblick auf die rechtlichen Einschätzungen und Einschränkungen. Die größte Herausforderung in puncto Verhältnismäßigkeit bzw. Interessenabwägung dürfte hierbei die Entscheidungsfrage über Leben und Tod haben.
Mit dieser Situation möchten wir uns diese Woche für Sie auseinandersetzen und diese aus rechtlicher – insbesondere strafrechtlicher – Sicht beleuchten.
Eine Frage, die sowohl politisch, als auch ethisch nicht aufgeladener sein könnte und bei der vorab deutlich darauf hingewiesen werden muss, dass „eine“ richtige Entscheidung wohl kaum zu erzielen sein wird und jeder hier seinen eigenen Standpunkt haben darf und auch haben muss. Gleichwohl wird man in Situationen, wie sie Anfang des Jahres in Italien vorherrschte, das Thema nicht unbeachtet lassen können.
Was genau meint die Triage?
Bei der Triage-Situation handelt es sich um den Fall, dass Ärzte und Pflegepersonal in einer Ausnahme- oder Katastrophensituation mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht alle Verletzten oder Erkrankten retten können und somit entscheiden müssen, wer die lebensnotwendige medizinische Versorgung erhält und wem diese versagt wird.
Dabei sind zwei Situationen zu unterscheiden: Wie wird vorgegangen, wenn es für neue Patienten zu wenig freie Intensivbetten gibt? Und darf ein Arzt bei einem Patienten die Behandlung abbrechen, um einen anderen mit vielleicht besseren Überlebenschancen zu helfen?
Ärzte und Pflegepersonal trifft in ihrem Verantwortungsbereich die sog. Garantenpflicht i.S.v. §13 Abs. 1 StGB, nach der sie rechtlich dafür einzustehen haben, dass Schäden an Leib und Leben der sie aufsuchenden Patienten abgewendet werden, soweit eine Therapie nicht aussichtslos ist und die Behandlung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Wird in einer solchen Situation eine entsprechende medizinische Behandlung nicht veranlasst, können sich Ärzte und Pflegepersonal, je nach Fallkonstellation, wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar machen.
Dies gilt jedoch nicht für den Fall, dass die Zahl der zu behandelnden Patienten die verfügbaren Mittel überschreitet und es sich um eine Kollision gleichwertiger Handlungspflichten handelt. Unstreitig ist nämlich, dass Patienten nach Dringlichkeit behandelt werden dürfen, also zuerst der Patient, der die Behandlung dringender braucht. Das Gesetz kann von den behandelnden Ärzten nicht etwas faktisch Unmögliches verlangen.
Zwei Patienten, ein Beatmungsgerät: wer wird angeschlossen?
Haben mehrere Patienten die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung, die jedoch mangels Mittel nicht gleichzeitig geschehen kann, liegt eine Kollision mehrerer gleichwertiger Handlungspflichten zur Rettung von Leben vor.
Eine solche Situation führt nach der „rechtfertigenden Pflichtenkollision“, die zwar gesetzlich nicht geregelt, aber gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, dazu, dass nicht rechtswidrig handelt, wer nur so viele Menschen, wie nach Kapazitäten möglich, rettet. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass die Behandlungsbedürftigen auch mit gleicher Dringlichkeit auf Hilfe angewiesen sind, da es ansonsten an der Gleichrangigkeit der kollidierenden Rettungspflichten mangelt. Zur Verdeutlichung kann hierbei das Beispiel herangezogen werden, dass die Pflicht ein gebrochenes Bein zu verarzten nicht gleichrangig angesehen werden kann mit der Pflicht, jemandem nach einem schweren Verkehrsunfall das Leben durch Versorgung oder Notoperation zur retten.
Dennoch muss der Arzt in einer Situation der Kollision mehrerer gleichwertiger Handlungspflichten eine Entscheidung treffen. Diesbezüglich werden unterschiedliche Ansätze zur Priorisierung vertreten. Einige schlagen vor, auf die klinischen Erfolgsaussichten einer Behandlung abzustellen: behandelt wird, wer mit höherer Wahrscheinlichkeit überlebt. Andere stellen auf das Prioritätsprinzip, der Behandlung der Patienten nach der Reihenfolge ihrer Einweisung ab, oder auf das Zufallsprinzip, wonach die Vergabe von Behandlungsplätzen per Losverfahren entschieden werden soll.
Letztendlich sind die Motive der Entscheidung, nach welchen Kriterien die begrenzten Behandlungskapazitäten verteilt werden, nicht mehr durch das Strafrecht vorgegeben, sondern dem Garanten in der Situation der Pflichtenkollision freigestellt. Selbst wenn man die Motive, durch die sich ein Arzt leiten lässt, als moralisch verwerflich ansehen mag, handelt es sich dabei nicht um strafrechtlich relevantes Tötungs- oder Körperverletzungsrecht.
Darf ein neuer Patient einen in Behandlung befindlichen Patienten verdrängen?
Auch die Frage des Abbruchs einer Behandlung eines Patienten zugunsten eines anderen Patienten mit höheren Überlebenschancen, stößt auf kontroverse Meinungen.
Es wird vertreten, dass der gezielte Abbruch der medizinisch indizierten Behandlung eines Patienten ohne dessen Einwilligung oder ggf. nur mutmaßlicher Einwilligung, um einem anderen Patienten diese zu ermöglichen, eine strafbare Tötung oder Körperverletzung, ggf. im Versuch, darstellt. Hiergegen wird allerdings eingewandt, dass eine Strafbarkeit dann nur vom Zufall abhängen würde, nämlich, ob die Behandlung des Patienten schon begonnen hat oder nicht.
Solange für die Triage keine spezial-gesetzliche Regelung erfolgt, gibt es für die Ärzte und das Pflegepersonal keine Garantie der Rechtssicherheit. Kontroverse Auseinandersetzungen wird es hinsichtlich der Triage sicherlich weiterhin geben.
Wie geht es nun weiter?
Um dieser Unsicherheit vorzubeugen, wurde dem Bundesverfassungsgericht bereits ein Eilantrag vorgelegt, durch welchen derartige verbindliche Regelungen geschaffen werden sollten. Mit Beschluss vom 16.07.2020 lehnte das Bundesverfassungsgericht diesen Antrag jedoch erstmal ab. Dies jedoch mit der Begründung, dass die damalige Situation in Deutschland einen derartigen Krisenzustand als unwahrscheinlich erscheinen ließ und dementsprechend eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht erforderlich sei.
Im Rahmen einer kürzlich stattgefundenen Tagung von Strafrechtlern und auch Medizinern, auf der sich genau mit dieser Thematik auseinandersetzte, wurde bekannt, dass der Ärztekammer ein Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, in welchem in Erfahrung gebracht werden soll, nach welchen bisherigen Regelungen und Berufsrichtlinien derzeit vorgegangen werden würde und welche Vor- und Nachteile bei einer gesetzliche Regelung hiervon entstünden. Insofern ist es nicht auszuschließen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Frage weiter befassen wird und eventuell den Gesetzgeber zur einer verbindlichen Regelung verpflichtet.
Derzeit bleibt zu hoffen, dass die Covid-19-Pandemie nicht zu Zuständen in deutschen Krankenhäusern führen wird, in denen Triage-Entscheidungen getroffen werden müssten.
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