Der Irrtum des Mundraubes: Ernten, was wir sehen…

Der Irrtum des Mundraubes: Ernten, was wir sehen…

….könnten wir sofort ohne zu säen, doch kaum einer greift unterwegs mal ins Grüne, um ein paar Brombeeren, Pilze oder Haselnüsse zu ergattern. Die Sorgen der Deutschen, sofern sie überhaupt auf den Gedanken kommen zu „wildern“, sind zu groß: Darf man das? Wem gehört das? Kann man das überhaupt essen? Teils hält sich noch der Irrglaube, dass das Entnehmen von Feld- und Waldfrüchten verboten oder sogar als sog. „Mundraub“ bestraft werden könne. Doch der Straftatbestand des Mundraubes ist seit 1975 aus den Strafgesetzbüchern verschwunden. Die ungepflückte Natur ist vielmehr auch Zeichen unseres Wohlstands.

Im Oktober ist die Hauptsaison zum Pilze sammeln, Brombeeren haben erstaunlicher Weise sogar bis November Saison. Und man sieht sie immer wieder, und es gibt sie häufiger als man denkt: Sträucher mit saftigen Beeren oder Bäume mit leckeren Nüssen mitten in der Stadt. Doch sie bleiben in aller Regel bis zum Ende der Saison ungeerntet und verdorren, dabei sind jedem Jogger, Spaziergänger und Naturfreund die verschiedenen Reifefarben bekannt. Der moderne Stadtmensch ist weder Jäger noch Sammler und hält Supermarkt und Restaurant für die einzige Nahrungsquelle. Zu groß ist die Verunsicherung über rechtliche und gesundheitliche Fragen. Die Herrenlosigkeit sowie das fehlende Mindesthaltbarkeitsdatum scheinen dem Neuzeitbüger zu sehr zu verunsichern. Dabei ist nichts mehr „Bio“ als das selbst gepflückte Obst oder Gemüse vom Wegesrand, denn dieses wird wohl kaum von Menschen in Schutzanzügen zur maximalen Haltbarkeit „eingedieselt“. Es ranken sich Mythen um einen drohenden Fuchsbandwurm, eine Ansteckung des Menschen durch verunreinigte Früchte. Doch diese Gerüchte wurden nie wissenschaftlich bestätigt, belegt ist lediglich eine Infektionsgefahr über Eier im Fell von Hunden, Katzen und anderen Tieren. Es kann allerdings nicht schaden der alten Bauernweisheit zu folgen, Beeren erst ab etwa einem Meter Höhe zu ernten. Wer dies tut, kann viel Geld sparen, denn das 125-Gramm-Schälchen Brombeeren kostete Anfang September stolze 3,49 Euro, das ergibt für das Kilo ganze 27,90 Euro. Zu Zeiten der Lebensmittelkrise im ersten Weltkrieg vor hundert Jahren wären diese Bestände sofort geplündert worden, heute wird auf dem Weg zur Bahn mit einem Coffee-to-go hektisch am einladenden Himbeerstrauch vorbeigehetzt.

Quelle: Zurijeta / Shutterstock

Selbst kommerzielle Plantagen verkommen

Auch die kommerziellen Anbauer haben Probleme, denn in immer mehr Plantagen in Deutschland bleibt Obst liegen. Der eingeführte Mindestlohn von 8,50 Euro bereitet den Anbauern Schwierigkeiten. Die Konkurrenz etwa in Polen hat zudem wesentlich weniger Erntekosten und exportiert mittlerweile sogar ihre Früchte nach Deutschland. In Polen ist gar von einer Rekordernte die Rede. Zu den meteorologischen Launen der Ernte mischt sich die Weltpolitik. Als Reaktion auf westliche Sanktionen hat Russland den Import von EU-Früchten aus Polen eingestellt, was den Export nach Deutschland zusätzlich stark angekurbelt hat.

Um nicht auf dem Obst sitzen zu bleiben, haben sich einige Baumbesitzer im „Ländle“ in Reutlingen etwas Besonderes ausgedacht: Eine weiße Schleife am Baum signalisiert die „Pflück-Flatrate“. Dies wird auch von der Stadt begrüßt, die Reaktion ist jedoch noch verhalten.

Quelle: GoneWithTheWind / Shutterstock

Was erlauben die Gesetze dem Sammler?

Entgegen der allgemeinen Erwartung ist die Gesetzeslage in puncto Selbstversorgung in der Natur in Deutschland recht liberal. Nach § 39 Abs. 3 Bundesnaturschutzgesetz darf sich „jeder wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen“. In Bayern ist gemäß Art. 141 der Landesverfassung der „Genuss der Naturschönheiten“ sowie das „Betreten von Wald und Bergweide“ und auch „die Aneignung wild wachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang“ explizit erlaubt.

Für Champignons erlaubt § 2 Abs. 1 Bundesartenschutzverordnung das Sammeln „in geringen Mengen für den eigenen Bedarf“. Allerdings ist diese Erlaubnis auf die Arten Steinpilz, Schweinsohr, Brätling sowie alle heimischen Arten des Pfifferlings, Birkenpilzes, Rotkappe und Morchel begrenzt.

Unter ortsüblicher Menge bzw. eigenem Bedarf wird in der Regel eine Menge zwischen ein und zwei Kilo verstanden, Genaueres bestimmt die jeweils zuständige Behörde. Das Sammeln in Naturschutzgebieten und Nationalparks ist natürlich verboten (§§ 23, 24 BNatSchG). Neben privaten Grundstücken dürfen in den meisten Bundesländern zudem Forstkulturen, als gesperrt gekennzeichnete Waldteile  sowie Waldflächen, auf denen Holz geschlagen wird, nicht betreten werden. Selbstverständlich dürfte ferner sein, dass im Wald Autos weder abgestellt noch gefahren werden dürfen und das Betreten eines Waldes grundsätzlich auf eigene Gefahr geschieht.

Wer sich nun animiert fühlt selber mal auf die Suche in der Natur oder auch in der Stadt zu gehen, der kann tatsächlich sein Smartphone als Alternative zum Pokémon Go-Wahn in die „Obst- und Pilze-Rallye“ miteinbinden. Unter mundraub.org findet man Standorte von frei verfügbaren Nüssen, Früchten, Champignons und vielem mehr, ob in der urbanen Großstadt oder dem ländlichen Raum. Dank der ständigen Aktualisierungen der engagierten Netzcommunity reift man schnell zum professionellen Teilzeitselbstversorger!

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