Bereits Ende des 19. Jahrhunderts erkannte der deutsche Gesetzgeber die Wichtigkeit von Arbeitnehmerschutz. 1861 wurden die ersten Gesetze zum Schutz von „Handlungsdienern“ – kaufmännischen Angestellten – erlassen, in welchen die Vorgänger von Kündigungsfristen festgehalten wurden. Dies entwickelte sich über 100 Jahre weiter und bescherte uns das 1969 in Kraft getretene und bis heute wichtigste Gesetz zum Schutz von Arbeitnehmern in Deutschland: Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Das Kündigungsschutzgesetz ist jedoch nicht auf jedes Arbeitsverhältnis anwendbar. Wann Sie sich über den allgemeinen Kündigungsschutz freuen können, erklären wir in diesem Beitrag.
Was bedeutet Kündigungsschutz?
Das Kündigungsschutzgesetz bietet Arbeitnehmern/innen in Deutschland einen wichtigen Schutz davor, ihr Arbeitsverhältnis zu verlieren. Anhand des Gesetzes müssen sich Kündigungen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit messen lassen. Es bedarf einer sozialen Rechtfertigung für eine wirksame Kündigung. Die Kategorien zur Kündigungsbegründung unterteilen sich in die Bereiche betriebs-, verhaltens- und personenbedingt – mehr hierzu finden Sie in unserem Artikel Kündigungsvoraussetzungen im Arbeitsrecht. Gelingt dem Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses die Darlegung und der Beweis einer sozial rechtfertigenden Kündigungsbegründung nicht und ergeht insofern ein klagstattgebendes Urteil, wird das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht beendet und besteht unverändert fort
Wann muss das Kündigungsschutzgesetz in einem Arbeitsverhältnis beachtet werden?
Doch nicht jede/r Arbeitnehmer/in kommt in den Genuss dieses Schutzes. Der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist überhaupt nur eröffnet, wenn in dem Betrieb der sogenannte Schwellenwert von 10,0 Beschäftigten nach § 23 Abs. 1 KSchG überschritten wird. Eine Kündigung muss nur sozial gerechtfertigt sein, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine Beschäftigungsdauer von mindestens sechs Monate vorliegt, mithin die sogenannte Wartezeit überschritten ist, § 1 Abs. 1 KSchG.
Kann die Dauer der Wartezeit verändert werden?
Hintergrund der Wartezeit ist, dass dem Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in die Möglichkeit eingeräumt werden soll, das Arbeitsverhältnis zu erproben, bevor das KSchG eingreift. Eine Verlängerung der Wartezeit ist rechtlich nicht vorgesehen. Nach einer Beschäftigungsdauer von sechs Monaten ist – sofern das KSchG Anwendung findet – muss eine Kündigung zwingend sozial gerechtfertigt sein. Umgekehrt kann jedoch auf die Wartezeit individualvertraglich verzichtet werden. Dies kann insbesondere bei bereits vorherigen Arbeitsverhältnissen im selben Konzern sinnvoll sein.
Wann ist die Wartezeit erfüllt?
Die Frist beginnt mit der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses – also nicht mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags – zu laufen. Auch Zeiten, in denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist oder das Arbeitsverhältnis ruht, (bspw. in Fällen von Elternzeit o.ä.) werden hierbei mitgezählt.
Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, dass die Erfüllung der Wartezeit eine simple Berechnungsfrage darstellt, tatsächlich jedoch liegen hier Tücken.
Wartezeit bei Vorbeschäftigung
Grundsätzlich verlangt der Wortlaut des § 1 Abs. 1 KSchG ein „Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen [welches] ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat“. Diese Formulierung darf jedoch nicht zu eng verstanden werden, da ansonsten Tür und Tor zur Umgehung des Kündigungsschutzes geöffnet wird. Daher nahm die Rechtsprechung die Entwicklung, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorbeschäftigung in dem Betrieb auf die Wartezeit angerechnet werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass es einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen (neu und alt) gibt. Eine exakte Dauer, wie lange die Unterbrechung dauern darf, ist nicht bestimmt. Bei einer Unterbrechung von wenigen Tagen, wird in der Regel von einem engen zeitlichen Zusammenhang auszugehen sein. Doch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat teilweise eine Unterbrechung von drei oder mehr Wochen als nicht mehr unerheblich angesehen. Dies ist eine Einzelfallentscheidung und kann daher nicht pauschal beantwortet werden. Hierbei wird im Hinterkopf zu behalten sein, dass hiermit nicht die Anwendung des Kündigungsschutzes ausgedehnt werden soll, sondern vielmehr eine Umgehung verhindert werden soll. Mit folgenden Fallbeispielen möchten wir die Schwierigkeiten verdeutlichen:
- Fall 1: Eine Arbeitnehmerin wurde über mehrere Jahre hinweg jeweils vom 01. Januar bis zum 31. Mai sowie vom 01. Juli bis 31. November auf derselben Position beschäftigt. Am Ende der fünfmonatigen Zeiträume erhielt sie jeweils eine Kündigung. Nachdem dies mehrere Male so ablief, wehrt sich die Arbeitnehmerin.
Hier wird wohl trotz der mehrwöchigen Unterbrechung davon auszugehen sein, dass die Vorbeschäftigung anzurechnen und die Wartezeit daher überschritten ist. Weder an dem Arbeitsvertrag noch an den Arbeitsbedingungen hat sich etwas geändert. Der Sachzusammenhang ist mithin unverkennbar.
- Fall 2: Eine Arbeitnehmerin war zwei Jahre lang als Designerin bei in einer Modemarke beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wird durch die Arbeitnehmerin beendet. Da sie nach vier Wochen keine neue Beschäftigung als Designerin gefunden hat, beginnt sie ein neues Arbeitsverhältnis in demselben Modehaus. Sie ist nunmehr als Verkäuferin tätig.
Obwohl die Unterbrechung in Fall 2 ebenso wie in Fall 1 vier Wochen beträgt, wird im zweiten Fall eine Anrechnung der Vorbeschäftigung wohl nicht vorgenommen werden müssen. Der Sachzusammenhang ist hier zwischen den Arbeitsverhältnissen anders gelagert – die Beendigung ging seitens der Arbeitnehmerin voraus, zudem erfolgte eine Beschäftigung auf einer anderen Position. Daher besteht ein berechtigtes Interesse, das Arbeitsverhältnis vor der Anwendbarkeit des KSchG erneut zu erproben. Die Arbeitnehmerin mag eine gute und erprobte Designerin sein, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie auch in der neuen Position überzeugen kann.
Gibt es jedoch keine zeitliche Unterbrechung, wird immer von einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis ausgegangen, unabhängig davon, ob es einen Sachzusammenhang gibt oder nicht. Dies trifft jedoch nur auf Arbeitsverhältnisse zu. Bei freien Mitarbeitern oder organschaftlichen Vertretern, ist die Bewertung etwas anders. Hier kann die Anrechnung der vorherigen Verbindung individualvertraglich vereinbart werden. Im Falle eines Geschäftsführers geht das BAG sogar davon aus, dass eine solche Anrechnung gewollt ist, wenn der ehemalige Geschäftsführer nach der Beendigung des Geschäftsführeranstellungsverhältnisses zu den im Wesentlichen selben Bedingungen und mit im Wesentlichen gleichen Tätigkeitsbereich beschäftigt wird (BAG v. 24.11.2005, 2 AZR 614/04).
Wann wird der Schwellenwert in einem Betrieb überschritten?
Damit das KSchG zur Anwendung kommt, müssen in dem Betrieb regelmäßig mehr als 10,0 Arbeitnehmer/innen beschäftigt sein, unter dieser Grenze spricht man vom Kleinbetrieb. Hierbei werden nur Arbeitnehmer/innen berücksichtigt, wozu weder organschaftliche Vertreter (wie beispielsweise Geschäftsführer/innen), noch Auszubildende zählen. Jedoch sind bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl sowohl leitende Angestellte (mehr zum Thema leitende Angestellte erfahren Sie in unserem Artikel Leitender Angestellter – Fluch oder Segen?), als auch Leiharbeitnehmer/innen und auch geringfügig Beschäftigte zu berücksichtigen, sofern sie regelmäßig in dem Betrieb beschäftigt sind und der durch sie abgedeckte Personalbedarf nicht nur kurzfristig besteht. Ruht ein Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher Voraussetzungen (bspw. bei Elternzeit) ist dieses grundsätzlich mitzuzählen. Wurde jedoch eine andere Person zur Abdeckung des hierdurch bedingten Personalmangels eingestellt, ist die Stelle nur einfach mitzuzählen.
Bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl wird nicht jeder Arbeitnehmer pro Kopf gezählt. Es kommt hierbei auf die regelmäßige Beschäftigung an, sodass lediglich Vollzeitarbeitnehmer/innen und solche, die mehr als 30 Stunden die Woche arbeiten mit einem Faktor von 1,0 berücksichtigt werden. Teilzeitbeschäftigte, die mehr als 20 aber nicht mehr als 30 Wochenstunden arbeiten, werden mit einem Faktor von 0,75 berücksichtigt. Alle Übrigen werden mit einem Faktor von 0,5 gezählt.
Besonderheiten in einem Gemeinschaftsbetrieb
Ein Gemeinschaftsbetrieb liegt vor, wenn mehrere Unternehmen gemeinsam Ressourcen nutzen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Mit Ressourcen sind sowohl Gegenstände und Räumlichkeiten als auch Know-how und Personal gemeint. Kurz gesagt, zwei eigenständige Unternehmen profitieren voneinander und agieren gemeinsam. Das BAG geht von einem Gemeinschaftsbetrieb aus, „wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird“. Indiz hierfür ist häufig eine gemeinsame Personalabteilung – wobei dies allein noch nicht ausreichen wird. Liegen die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs vor, so sind für die Erreichung des Schwellenwerts nicht nur die Arbeitnehmer des eigenen Unternehmens zu betrachten, sondern auch die, die arbeitsvertraglich mit dem anderen (einen Gemeinschaftsbetrieb bildenden) Unternehmen verbunden sind.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist bei der A-GmbH beschäftigt. Die A-GmbH beschäftigt neben ihm lediglich sechs weitere Vollzeitarbeitnehmer/innen. Dieselben Räumlichkeiten nutzt auch die B-GmbH, welche ihrerseits sechs Vollzeitarbeitnehmer/innen beschäftigt. Beide Unternehmen lassen alle Arbeitnehmer/innen in vermischten Teams in einer Küche kochen, um externe Events zu verköstigen. Der Geschäftsführer ist in beiden Unternehmen identisch. Die Rechnungen werden von derselben Rechnungsabteilung gestellt.
In diesem Fall wird von einem Gemeinschaftsbetrieb auszugehen sein. Daher ist auf die Arbeitsverhältnisse beider GmbHs das Kündigungsschutzgesetz anwendbar.
Ist der Schwellenwert überschritten und die Wartezeit erreicht, muss der Arbeitgeber darlegen, auf welche Gründe sich die Kündigung stützt und dass diese sozial gerechtfertigt ist. Dem Arbeitnehmer obliegt es hingegen, im ersten Schritt darzulegen und grundsätzlich auch zu beweisen, dass der allgemeine Kündigungsschutz in diesem Verhältnis gilt.
Bei Fragen rund um das Kündigungsschutzgesetz stehen wir, Dr. Granzin Rechtsanwälte, Ihnen mit unserer Expertise als Fachanwälte für Arbeitsrecht zur Seite!
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