Wegsperren – Für immer?

Im deutschen Strafrecht gilt das Instrument der Sicherungsverwahrung als die schärfste Sanktion. Auch nach Verbüßung seiner Haftstrafe bleibt ein schuldfähiger Täter weiter in Verwahrung. Ziel ist der Schutz der Gesellschaft vor dem nach wie vor gefährlichen Täter. Die Sicherungsverwahrung dient deshalb nicht der Vergeltung der eigentlichen Straftat, denn seine Schuld hat der Täter bereits durch die Verbüßung seiner Haftstrafe abgetragen. Der Sicherungsverwahrte erbringt damit der Gesellschaft gegenüber gewissermaßen ein Sonderopfer – die Sicherheit der Allgemeinheit wird durch die Verwahrung des Täters erreicht. Schon deshalb sollte dieses „schärfste Schwert“ des Strafrechts nicht leichtfertig eingesetzt werden.

 

Was bedeutet „Sicherungsverwahrung“?

 

Bei der Sicherungsverwahrung handelt es sich nicht um eine Strafe im klassischen Sinn, sondern um eine sogenannte Maßregel der Besserung und Sicherung. Diese Maßregeln sind, wie bereits angedeutet, schuldunabhängig. Es geht nicht um die Bestrafung für begangenes Unrecht. Stattdessen handelt es sich um rein präventive Maßnahmen – der Blick ist also gewissermaßen nach vorne gerichtet. Ziel der Sicherungsverwahrung ist in erster Linie der Schutz der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Täter. Aber auch die Verhinderung von Straftaten durch Besserung des Täters ist mittlerweile ein anerkannter, nachgeordneter Zweck der Maßregel.

 

Die durch den Verwahrten begangene Tat ist insofern nur der Anlass für die Verhängung dieser Maßregel, nicht aber ihr Grund. Daraus folgt, dass der Täter nicht schuldfähig sein muss – entscheidend ist das Maß seiner Gefährlichkeit. Wenn also die Sicherungsverwahrung gegen einen Täter verhängt wird, so erfolgt dies aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsannahme, die naturgemäß auch Raum für einen Irrtum bietet.

 

Sicherungsverwahrung – Wer ist betroffen?

 

Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung wird zwar massiv in die Rechte des Betroffenen eingegriffen, die zahlenmäßige Bedeutung dieser Maßregel ist allerdings gering. Derzeit befinden sich in Deutschland 524 Personen in Sicherungsverwahrung – unter ihnen übrigens nur eine Frau. Seit einigen Jahren bleibt es bei einer Zahl in dieser Größenordnung. Das war allerdings nicht immer so. Im Jahr 1965 waren 1.430 Täter in der Sicherungsverwahrung untergebracht, und das auf dem deutlich kleineren Gebiet der alten Bundesrepublik. In der Folge der Großen Strafrechtsreform von 1969 sanken die Zahlen dann allerdings dramatisch: 1980 befanden sich noch 208 Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung, 1996 sogar nur noch 176. Seit Ende der 90er Jahre stiegen die Zahlen dann aber wieder deutlich an. Diese Schwankungen lassen sich nur mit einem Blick auf die geschichtliche Entwicklung der Sicherungsverwahrung verstehen.

 

[caption id="attachment_3515" align="aligncenter" width="1000"] FOTOKITA / shutterstock[/caption]

 

Wechselhafte Geschichte

 

Die Sicherungsverwahrung wurde 1933 in das StGB eingefügt, und zwar durch das „Gewohnheitsverbrechergesetz“. Das Jahr der Einführung lässt zwar zunächst vermuten, dass Gedankengut aus Zeit des Nationalsozialismus seinen Weg in das Gesetzbuch gefunden hat – diese Annahme ist so jedoch nicht korrekt. Beratungen zu einem solchen Institut waren schon weit vor der Machtergreifung geführt worden. Nach dem Ende der NS-Diktatur wurden die Regelungen dann schließlich auch beibehalten.

 

1969 war ein weiteres wichtiges Jahr für das Institut der Sicherungsverwahrung: Im Zuge der Großen Strafrechtsreform wurden die Vorschriften deutlich restriktiver gestaltet. Hier hat sich auch ein Wandel im Zeitgeist niedergeschlagen und die Sicherungsverwahrung in einer Weise umgestaltet, die besser mit der zunehmend liberalen Gesellschaft vereinbar war.

 

Gegen Ende der 1990er Jahre wurde der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung dann allerdings wieder stetig ausgeweitet. Konkreten Anlass für diesen Umschwung gab es weniger - sie diente eher dazu, den damaligen Zeitgeist zu befriedigen. Denn unter dem Eindruck einiger weniger Sexualmorde an Kindern während dieser Zeit wurde die bis dahin geltende Höchstgrenze der Sicherungsverwahrung von 10 Jahren aufgehoben. Die Aufhebung der Höchstfrist galt auch für diejenigen, die sich bereits in Verwahrung befanden und damit nicht länger auf eine baldige Entlassung hoffen konnten. Da es sich bei der Sicherungsverwahrung um eine Maßregel und nicht um eine Kriminalstrafe handelt, durfte sie nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch rückwirkend zum Nachteil der Betroffenen verändert werden. Aus dieser Zeit stammt dann auch der Ausspruch von Altkanzler Gerhard Schröder: „Wegsperren – und zwar für immer“ lautete damals das Motto.

 

Trendwende durch den EGMR

 

Das Jahr 2009 brachte dann jedoch eine Trendwende. Auslöser war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Dieser hielt die rückwirkende Aufhebung der 10-Jahres-Grenze für konventionswidrig und nahm zudem die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung genau unter die Lupe. Unterbringung in einer Einrichtung, die dem normalen Strafvollzug dient, vergleichbar große Hafträume und kaum Therapieangebote – so stellte sich der Alltag in der Sicherungsverwahrung dar. Die faktisch kaum vorhandenen Unterschiede zum Strafvollzug bewogen die Straßburger Richter dann auch, die Sicherungsverwahrung in ihrer damaligen Form sehr wohl als Strafe anzusehen.

 

Dies hatte zur Folge, dass in manchen Bundesländern Sicherungsverwahrte vorzeitig entlassen und noch dazu finanziell entschädigt werden mussten. Diese plötzliche Entlassung von vermeintlich gefährlichen Straftätern verunsicherte die Bevölkerung erheblich.

 

2011 rückte dann auch das Bundesverfassungsgericht von seiner bisherigen Ansicht ab und erklärte kurzerhand alle Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Damit sah sich der Gesetzgeber vor die Aufgabe gestellt, innerhalb von zwei Jahren diesen Bereich neu zu regeln

 

[caption id="attachment_3513" align="aligncenter" width="1000"] Ilija Erceg / shutterstock[/caption]

 

Die Sicherungsverwahrung heute

 

Heute wird hauptsächlich zwischen der primären Sicherungsverwahrung einerseits sowie der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung andererseits unterschieden.

 

Die primäre Sicherungsverwahrung, in der die Maßregel bereits mit dem Strafurteil angeordnet wird, stellt dabei den Normalfall dar. Der Verurteilte weiß in diesem Fall von Anfang an, dass der nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe nicht entlassen, sondern in eine andere Einrichtung zur Sicherungsverwahrung verlegt wird. Allerdings ist auch dann noch einmal zu prüfen, ob die Prognose zur Gefährlichkeit des Täters nach wie vor Bestand hat.

 

Liegt der Fall nicht ganz so klar, gibt es die Möglichkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Die Maßregel wird dann im Urteil zunächst nur angedroht. Vor dem Ende der Freiheitsstrafe wird dann geprüft, ob eine Gefährlichkeitsprognose zu stellen ist. Der Täter weiß aber auch in diesem Fall, dass er mit einer möglichen Sicherungsverwahrung rechnen muss.

 

Nicht jeder Täter kann resozialisiert werden

 

Die Sicherungsverwahrung ist nach wie vor umstritten. Sie ist aber schon deshalb ein notwendiges Übel, weil nicht jeder Täter resozialisiert werden kann. Trotzdem sollte die Sicherungsverwahrung das letzte Mittel sein und darf nur erfolgen, wenn es um die Verhinderung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte geht. Dem Betroffenen müssen Therapieangebote gemacht werden, deren Ziel es ist, seine Gefährlichkeit soweit zu mindern, dass die Sicherungsverwahrung baldmöglichst beendet werden kann. Die Besserung des Täters ist mittlerweile ein zweiter anerkannter Zweck der Sicherungsverwahrung. Vorrangiges Ziel der Unterbringung ist aber nach wie vor, die Allgemeinheit vor hochgefährlichen Straftätern zu schützen.

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