In Sachen Arbeitsrecht sieht es für die Kirchen aktuell nicht allzu rosig aus – in einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wurde einer konfessionslosen Bewerberin, die wegen fehlender Religionszugehörigkeit von der evangelischen Diakonie abgelehnt worden war, eine Entschädigung zugesprochen. Vom Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Bevorzugung christlicher Bewerber bleibt somit nicht allzu viel übrig. Da das BAG mit dem Urteil die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt hatte, kam die Entscheidung zwar nicht wirklich überraschend – sie rüttelt aber an den Privilegien der Kirchen.
Kirchliches Arbeitsrecht?
Im kirchlichen Arbeitsrecht gilt es einige arbeitsrechtliche Besonderheiten. Beispielsweise können hier keine Personal- oder Betriebsräte mit einem hohen Grad an Mitbestimmung gebildet werden – möglich sind lediglich Mitarbeitervertretungen. Eine gewerkschaftliche Vertretung ist ebenfalls kaum vorhanden.
Wer Arbeitnehmer einer Kirche ist, darf nicht in den Streik treten. Und auch sonst wird es mit der Loyalität sehr genau genommen. Insbesondere in der katholischen Kirche – und damit für dort beschäftigten Arbeitnehmer – gilt die sog. Grundordnung, mit der enge Vorgaben für das Verhalten gesetzt werden. Bei Nichteinhaltung dieser kann ein kündigungsbegründendes Verhalten vorliegen. Verstoßen also katholische Mitarbeiter etwa gegen das Sakrament der Ehe, könnte darin eine Pflichtverletzung gesehen werden, die im Extremfall auch zu einer Kündigung führen könnte. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn der jeweilige Arbeitnehmer eine sogenannte „verkündungsnahe“ Tätigkeit ausübt und diesen deshalb eine besondere Loyalitätspflicht gegenüber seinem kirchlichen Arbeitgeber trifft.
Diese Sonderstellung lässt sich zum einen mit der historischen Entwicklung der Kirchen in Deutschland erklären. Zum anderen sind die kirchenarbeitsrechtlichen Besonderheiten aber auch in der Verfassung verankert. Denn die durch Art 140 Grundgesetz (GG) inkorporierten Artikel 136 ff. der Weimarer Reichsverfassung (WRV) normieren weiterhin geltendes Verfassungsrecht. Gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV wird den Kirchen erlaubt, die inneren Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten.
Rechtfertigung bei Ungleichbehandlungen
Auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat der Gesetzgeber für Kirchen und Religionsgemeinschaften eine eigene Regelung geschaffen. Während Diskriminierung, etwa wegen Herkunft, Geschlecht oder eben der Religionszugehörigkeit grundsätzlich verboten sind, ist nach § 9 Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion durch Religionsgemeinschaften „auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
Der Streitfall
Ende 2012 schrieb eine diakonische Einrichtung, die organisatorisch der evangelischen Kirche verbunden ist, eine Teilzeitstelle für eine politisch-wissenschaftliche Referentin aus, um einen unabhängigen Bericht zur Umsetzung der Anti-Rassismus-Konvention der Vereinten Nationen erstellen zu lassen. Bewerber sollten ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Rechtswissenschaften oder eine vergleichbare Qualifikation vorweisen können, sowie solide Kenntnisse im Völkerrecht und im Bereich der Arbeit des Abbaus von Rassismus aufweisen.
Ausweislich der Stellenausschreibung gab es noch eine weitere Voraussetzung: Nämlich die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche oder einer Kirche, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehört.
Daraufhin bewarb sich eine konfessionslose Sozialpädagogin. Nachdem diese mangels Eignung, aber eben auch mangels Zugehörigkeit zur Kirche eine Absage erhalten hatte, erhob sie Klage auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Das Arbeitsgericht Berlin gab ihr recht und verurteilte die Diakonie zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Monatsverdienstes der Teilzeitstelle.
Diskriminierung oder kirchliches Selbstbestimmungsrecht?
In der Berufungsinstanz war das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg mit der Sache befasst. Unter Verweis auf den besonderen Rechtfertigungsgrund aus § 9 AGG sahen die Richter eine etwaige Diskriminierung als zulässig an und entschieden zugunsten des Arbeitgebers. Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Das BAG setzte den Fall allerdings aus und legte ihn im März 2016 dem Europäischen Gerichtshof vor. Der EuGH sollte Klarheit in der Frage schaffen, ob die Kirche selbst verbindlich bestimmen dürfte, ob eine bestimmte Religionszugehörigkeit des Bewerbers eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Der EuGH beseitigte bestehende Unklarheiten in dieser Hinsicht, indem er deutlich machte, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht europarechtlich kein anerkannter Rechtfertigungsgrund für eine Bevorzugung von christlichen Bewerbern sein kann. Es müsse eine wirksame Kontrolle durch staatliche Gerichte in der Frage geben, ob die Kirchenzugehörigkeit für eine Stelle eine notwendige und gerechtfertigte Anforderung sei.
Folgenreiche Entscheidung des BAG
Abschließend hat das BAG in der Sache selbst entschieden: Es hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und änderte zudem noch die Höhe der in erster Instanz festgelegten Entschädigung von einem auf zwei Monatsgehälter. Die Benachteiligung der Bewerberin wegen der Religion war nicht aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirche gerechtfertigt, denn § 9 Abs. 1, Alternative 1, AGG dürfe wegen fehlender Vereinbarkeit mit Unionsrecht nicht angewendet werden.
Zu klären war daher, ob die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der Benachteiligung gemäß § 9 Abs. 1, Alternative 2, AGG vorgelegen haben. Entscheidend war insoweit folgende Frage: stellte die Forderung nach der Religionszugehörigkeit „nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderungdar“? Da nach dem Urteil des EuGHs auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift sehr eng auszulegen sind, verneinten die Erfurter Richter die Frage. Die Zugehörigkeit zur Kirche stellte für die zu besetzende Position als Referentin keine notwendige berufliche Anforderung dar. Das Urteil des BAG geht damit womöglich noch über die Vorgaben des EuGH hinaus und rüttelt an den althergebrachten arbeitsrechtlichen Privilegien der Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Paradigmenwechsel im Kirchenarbeitsrecht?
Das Kirchenarbeitsrecht ist also im Wandel – nicht zuletzt auch wegen einer aktuellen Entscheidung des EuGH aus dem September 2018. Dabei ging es um die Kündigung eines katholischen Chefarztes, der in einem von einer kirchlichen Einrichtung getragenen Krankenhaus tätig war und aufgrund seiner Wiederheirat entlassen wurde Dies könnte eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Auch in diesem Fall muss das BAG nochmals prüfen, ob die Religion im Hinblick auf die Art der Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Nur in diesem Falle könnte die Kündigung dann ausnahmsweise gerechtfertigt sein.
Das Urteil des BAG wird für die Kirchen Anlass sein müssen, ihre Einstellungspraxis zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen – das Erfordernis der Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche kann künftig jedenfalls nicht mehr routinemäßiger Bestandteil von Stellenausschreibungen sein. Kirchen und Religionsgemeinschaften werden also in mancherlei Hinsicht von ihrem Sockel hinabsteigen und sich wie „normale“ Arbeitgeber messen lassen müssen.
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