Juristen-Klischees gibt es viele – die meisten unter ihnen sind nicht besonders schmeichelhaft und halten sich hartnäckig. Worin eigentlich genau die juristische Arbeit besteht, bleibt für den Laien aber meist ein Buch mit sieben Siegeln, denn: Die Logik des Rechts deckt sich häufig nicht mit der Logik der alltäglichen Lebenswelt. Aus diesem Unverständnis hat sich bereits ein ganzes Metier entwickelt. Jura für Nichtjuristen – das ist der Oberbegriff, in dessen Zentrum das Anliegen steht, einen Eindruck von der Arbeitsweise des Rechts zu vermitteln. Das kann nicht nur lehrreich, sondern bisweilen auch unterhaltsam sein.
Es steht doch alles im Gesetz – oder?
Viele Laien sind der Überzeugung, die eigentliche Leistung eines Juristen bestünde darin, möglichst viele Gesetze auswendig zu lernen. Doch weit gefehlt – die größte Schwierigkeit liegt darin, die Vorschriften auf den konkreten Fall zu übertragen. Gesetze müssen auf eine unüberschaubare Vielzahl von Lebenssachverhalten angewendet werden und können keine Einzelfälle regeln. Die Notwendigkeit, abstrakte Regeln festzulegen, erfordert eine hochformalisierte Sprache. Diese erscheint Nichtjuristen oft unzugänglich und erschwert das Verständnis dafür, was eigentlich kommuniziert werden soll.
Dass Wörter und Sätze auf vielfältige Weise interpretiert werden können, dürfte vielen noch aus leidvollen Erfahrungen im Deutschunterricht bekannt sein. Ähnlich wie mit der Interpretation literarischer Klassiker verhält es sich auch mit Gesetzestexten. Erschwerend hinzu kommt dabei allerdings, dass häufig entscheidende Unterschiede zwischen dem alltäglichen und dem juristischen Sprachgebrauch bestehen. Wer Begriffe wie „Besitz“, „Eigentum“, „Leihe“ oder „Miete“ in ihrer alltäglichen Bedeutung verwendet, wird einen juristischen Text dazu zwar an der Oberfläche verstehen können – die rechtliche Botschaft, die sich hinter den oftmals speziellen Begriffen verbirgt, wird sich jedoch nicht unmittelbar erschließen.
So bedeutet „grundsätzlich“ im juristischen Kontext beispielsweise „vom Grundsatz her“, also: In der Regel, von der aber Ausnahmen möglich sind. Das Wort ist ein eindeutiger Hinweis dafür, dass Ausnahmen vorgesehen sind. Im normalen Sprachgebrauch meint „grundsätzlich“ jedoch „immer“ - und zwar ohne Ausnahmen. Es handelt sich also um Fachsprache, die häufig im Gewand der ganz normalen Alltagssprache daherkommt und daher Gefahr läuft, nicht in ihrem fachlichen Kontext verstanden zu werden. Oder anders ausgedrückt: Sie erscheint verhängnisvollerweise gerade an Stellen verständlich, an denen sie es nicht ist.
Emotionslos und trocken, noch dazu sterbenslangweilig und juristischen Laien kaum zugänglich – dies sind daher häufig die ersten Assoziationen, wenn sich juristische Laien mit dem sogenannten „Juristendeutsch“ konfrontiert sehen.
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Paragraphendschungel
Aber nicht nur die einzelnen Gesetze können Schwierigkeiten bereiten, denn: Keine Norm steht für sich allein. Unser Rechtssystem besteht vielmehr aus einem Geflecht von Vorschriften, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Diese Systematik gilt es erst einmal zu durchdringen, wenn man mit dem Gesetz arbeiten möchte. Und nicht nur die einzelnen Gesetze sind miteinander verknüpft. Wie bereits erwähnt, können Paragraphen konkrete Sachverhalte und Tatbestände nur bedingt umschreiben. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass die Texte häufig aus einer Zeit stammen, die nicht die heutigen Entwicklungen im Blick hatte. Um einen konkreten Fall unter die Voraussetzungen einer Norm zu „subsumieren“, muss der Gesetzeswortlaut daher ausgelegt werden. Die Auslegung und Fortentwicklung von Gesetzen ist daher eine Wissenschaft für sich.
Alles Auslegungssache?
Des Rätsels Lösung verbirgt sich häufig in den sogenannten Kommentaren. Wer es also genau wissen will, greift zu einer der dickbändigen Gesetzeserläuterungen. Auf unzähligen Seiten hauchdünnen Papiers wird Paragraph für Paragraph fein säuberlich abgehandelt. Begriffliche Erläuterungen, veranschaulichende Fallbeispiele und zahlreiche Verweise auf einschlägige Urteile, also quasi das Recht hinter dem Recht – all das findet sich im Kommentar.
Juristische Kommentare haben eine lange Tradition: In heutiger Form geläufig sind sie seit dem 19. Jahrhundert. Seitdem erfüllen sie eine entscheidende Funktion. Was in der jeweils aktuellen Auflage des Kommentars geschrieben steht, findet Eingang in die Rechtspraxis. Und was nicht in den Kommentaren aufgenommen wurde, geriet, zumindest vor der Entstehung der juristischen Datenbanken, häufig in Vergessenheit.
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Für den Juristen sind Kommentare also unentbehrliche Hilfsmittel. Juristische Laien hingegen werden mit ihnen kaum etwas anfangen können: Ein Meer aus rätselhaften Abkürzungen, noch dazu in winzig kleiner Schrift, voller Einklammerungen, reichlich gespickt mit römischen und arabischen Zahlen, so verheißungsvoll muss man sich die Lektüre vorstellen, die auch Jurastudenten oft Mühe bereitet.
Der Kommentar hilft, die schiere Masse an Recht auf einen verwertbaren Rahmen zu reduzieren. Mit jeder neuen Auflage entwickelt sich die Rechtspraxis weiter, bis dahin stellt der jeweils aktuelle Kommentar die letzte Instanz dar. In der Regel sind die Nachschlagewerke nach ihrem Erstherausgeber benannt. So firmieren die Kommentare unter Juristen schlicht als der „Schönke-Schröder“ (für das Strafgesetzbuch) oder der „Palandt“ für das BGB. Letzterer dürfte aufgrund der kürzlich erneut entbrannten Debatte um seinen Namensgeber auch vielen Nichtjuristen ein Begriff sein. Otto Palandt, ausgerechnet ein NS-Jurist, war Namenspatron des führenden Kommentars, der bis heute seinen Namen trägt. Gewissermaßen ein Stolperstein der deutschen Rechtsgeschichte, für den mittlerweile mit einer Online-Petition der „Initiative Palandt umbenennen“ ein neuer Name gefordert wird.
Kommentare im Wandel der Zeit
Das Internet-Zeitalter macht auch vor den traditionsreichen juristischen Kommentaren nicht halt. Ganz im Gegenteil sogar: Das Internet beschleunigt das Tempo der ständigen Weiterentwicklung des Gesetzes. Der Online-Kommentar des Beck-Verlags wird fortlaufend aktualisiert. Konnten Juristen früher mit der jährlichen Neuauflage sicher sein, auf dem neuesten Stand zu sein, gibt es nun mühelos absolute Aktualität. Zumindest Umweltschützer dürfte diese Entwicklung freuen.
Aber, ob althergebracht zwischen zwei Buchdeckeln oder in moderner Form online abgerufen – Kommentartexte beanspruchen in der alltäglichen Rechtspraxis eine erhebliche Geltungskraft. Es zeigt sich also: Mit einem schnellen Blick in das einschlägige Gesetz ist es längst nicht getan. Vielmehr beginnt nach der Gesetzeslektüre die eigentliche Arbeit des Juristen erst.
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