Der eine oder andere interessierte Leser wird bereits mitbekommen haben, dass am 10.09.2020 im Bundestag einem Gesetzesentwurf den das Bundeslands Hamburg erfolgreich Ende 2019 in den Bundestag eingebracht hatte, hinsichtlich einer Erhöhung der Entschädigungssumme für Haftstrafen nunmehr ebenfalls zugestimmt worden ist.
Wann besteht ein Anspruch auf Entschädigung für Urteilsfolgen?
Nach § 1 des Strafentschädigungsgesetzes (StrEG) hat derjenige entschädigt zu werden, der durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, sofern die vorherige rechtskräftige Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst fortfällt oder gemildert wird. Dasselbe gilt natürlich auch für Maßnahmen der Besserung und Sicherung oder sonstige Nebenfolgen (§ 1 Abs. 2 StrEG). Eine solche Maßnahme stellt beispielsweise die Einweisung in eine psychiatrische Maßregelvollzugsanstalt dar, welche bei der Feststellung verhängt werden kann, wenn der mutmaßliche Täter schuldunfähig gewesen ist. (Bekanntestes Beispiel hierfür: der sehr bekannte Fall „Mollath“.)
Darüber hinaus stehen zu Unrecht Verfolgten auch bei weiteren Strafverfolgungsmaßnahmen, Ansprüche auf Entschädigung zu. Begonnen werden muss hierbei bei dem Vollzug von Untersuchungshaft (vgl. § 2 Abs. 1 StrEG) oder der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 Strafprozessordnung. Ebenfalls bei der Sicherstellung oder Beschlagnahme von Gegenständen oder Wertgegenständen oder Anordnung des Vermögensarrest, des Weiteren bei der Durchsuchung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG) oder der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, welche bei Trunkenheitsdelikten teils vorschnell von Ermittlungsbehörden angeordnet wird (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG). Die vorbezeichneten Beispiele stellen natürlich nur einige der wohl bekanntesten Strafverfolgungsmaßnahmen dar, im Strafentschädigungsgesetz sind weitere aufgeführt, welche jedoch zwecks Vereinfachung nicht aufgelistet werden sollen.
Bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens kann – wobei es sich jedoch klar um eine Ausnahme handelt – ebenfalls eine Entschädigung begründet sein. Nach § 3 StrEG liegt die Entscheidung darüber jedoch im billigen Ermessen des Gerichts. Anzumerken ist auch, dass Rechtsanwaltsgebühren im Regelfall nicht ersetzt werden.
Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff der Entschädigung?
Dies wird vom Gesetzgeber in § 7 StrEG genauer dargelegt. So sollen Vermögensschäden, welche einem zu Unrecht Verfolgten entstehen, ersetzt werden und darüber hinaus im Falle der Freiheitsentziehung auch der „immaterielle Schaden“, sprich den nicht zu beziffernden Wert des Verlustes der eigenen Freiheit. In § 7 Abs. 3 StrEG wird dieser Wert sodann auf € 25,00 pro Tag festgesetzt. Bislang ging der Gesetzgeber somit davon aus, dass ein Jahr unschuldige Inhaftierung mit insgesamt € 9.125,00 Entschädigung zu bepreisen ist.
Vergleichend kann hierbei aufgeführt werden, dass bei unseren Nachbarn in der Schweiz ein Tag Freiheitsentziehung regelmäßig mit 200 Franken ausgeglichen wird, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, die ein Abweichen nach unten oder nach oben rechtfertigen. Insofern können dort Gerichte etwas besser auf den Einzelfall eingehen. Entsprechend gängiger Praxis wird als Mindesthöhe 100 Franken und als Höchstgrenze 300 Franken festgelegt, jedoch sind Gerichte daran nicht gebunden. So gibt es Beispiele, in denen Gerichte dort bei alleinstehenden Asylbewerbern (welcher zu dem relevanten Zeitpunkt entsprechend der Lebenssituation kein/kaum ein Sozialleben aufwies und keine Beschäftigung ausgeübt worden ist) nur 35 Franken festgesetzt haben. Diese richterliche Entscheidung ist im Rahmen eines Rechtsmittels jedoch zu 125 Franken korrigiert worden. Anhand dieses Beispiels soll verdeutlich werden, dass mehr „Spielraum“ für Gerichte hierbei nicht zwingend eine gerechtere Entscheidung herbeiführen muss. Auch in Österreich und den Niederlanden wird ähnlich wie in der Schweiz verfahren. Dort liegen die regelmäßigen Entschädigungen zwischen €25,00/Tag und €200,00/Tag. In den USA kann die Entschädigung aufgrund der individuellen Umstände und gerade auch, da dort Schmerzensgelder im Allgemeinen nicht nur entstandene Schäden ausgleichen sollen, sondern den Verursacher auch abstrafen sollen, in die Millionenhöhe gehen.
Deutschland hat sich bereits mehrfach gegen derartige Modelle entschieden, in denen subjektive Aspekte mit einbezogen werden zur Bemessung der Entschädigungshöhe. Hauptargument hierfür ist, dass der Wert der Freiheit nicht für eine Person aufgrund individueller Aspekte höher gewichtet werden kann, als bei einer anderen. Ebenfalls zu beachten ist, dass die derzeit noch €25,00/Tag, bald €75,00/Tag sich nur auf den immateriellen Schaden beziehen. Also nur den unersetzbaren Wert der Freiheit beziffern sollen.
Andere Vermögensschäden, wie beispielsweise Verdienstausfall können unabhängig davon geltend gemacht werden. Relevant hierfür ist, dass diese durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursacht worden sind und einen Wert von mindestens € 25,00 übersteigen. Dies betrifft nach dem Gesetzeswortlaut jegliche Vermögensschäden. Beispielhaft sind hier die Reparaturkosten einer aufgebrochenen Tür, die Instandsetzungskosten des Gartens nach Erdarbeiten im Rahmen einer Durchsuchung oder die Mehrkosten in Form von Fahrscheinen für öffentliche Verkehrsmittel, nachdem die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen wurde, zu benennen. Zum Verständnis der möglichen Reichweite: bei unrechtmäßiger Entziehung der Fahrerlaubnis kann sogar der Verlust des Arbeitsplatzes als monetärer Schaden geltend gemacht werden, sofern dies auf die Entziehung zurückzuführen ist und ein tatsächlicher und beweisbarer Vermögensschaden dadurch eingetreten ist.
Wichtig und in der Praxis sehr relevant ist, dass die sogenannte „haftungsausfüllende Kausalität“ von dem ehemals Beschuldigten/Angeklagten zu beweisen und darzulegen ist. Gemeint ist damit der Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden. Die Beweislast hierfür stellt häufig eine Hürde zur Durchsetzung der Ansprüche dar.
Zu beachten ist hierbei stets, dass den zu Unrecht Verfolgten kein Mitverschulden treffen darf. Gleichzeitig trifft ihn jedoch die Schadensminderungsobliegenheit, d.h. die Pflicht, das Schadensausmaß so gering wie möglich zu halten; die Nichtbeachtung wirkt sich anspruchsmindernd aus.
Begrenzt wird der Entschädigungsanspruch durch die § 5 und § 6 StrEG. In den zuvor bezeichneten Regelungen wird eine Vielzahl von Ausschluss- oder Versagensgründen aufgelistet. Exemplarisch ist hervorzuheben, dass bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahmen des Anspruchsstellers oder wenn der Beschuldigte/Angeklagte sich wahrheitswidrig eingelassen hat oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich geäußert hat, Ansprüche ausgeschlossen sind.
Was hat sich nun geändert?
Im Bundestag wurde nun am 10.09.2020 ein Gesetzesentwurf zu Erhöhung der Entschädigung für Freiheitsentziehung beschlossen. Die Höhe der Entschädigung für Freiheitsentziehung, sprich für Untersuchungshaft oder irrtümlich verhängte Haftstrafen steigt danach von € 25,00/Tag auf €75,00/Tag an. Bezugnehmend auf unser obiges Rechenbeispiel steigt die Entschädigung für ein Jahr unrechtmäßige Freiheitsstrafe sodann auf € 27.375. Die Entwicklung zeigt einen langsamen, aber stetigen Anstieg: Im Jahr 2009 lag die Entschädigung noch bei €11,00/Tag. Mit der neusten Anhebung ist der Anregung des Deutschen Anwaltvereins (DAV) von mindestens € 100,00/Tag zwar nicht gefolgt worden, indes ist zumindest ein Vielfaches der vorherigen Werte erreicht worden.
Zweifelsfrei wird man einen Tag, der buchstäblich hinter Gittern verbracht worden ist, mit € 75,00 Entschädigung nicht wiedergutmachen können – ob eine Wiedergutmachung in einem solchen Fall überhaupt möglich ist, gilt es durchaus berechtigt zu bezweifeln – es handelt sich jedoch um einen Schritt in die richtige Richtung.
Der nunmehr beschlossene Gesetzesentwurf muss noch durch den Bundespräsident unterzeichnet werden, sodann kann er im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden und wird am darauffolgenden Tag in Kraft treten.
Die Erfassung und Bezifferung des Schadens aus erlebtem Unrecht ist eine Herausforderung, die Beweisführung zur Kausalität tritt erschwerend hinzu. Wenn Sie mit dieser Thematik konfrontiert sind, nehmen Sie gern Kontakt zu uns auf, wir stehen Ihnen als verlässlicher Partner im Strafrecht zur Seite, auch im Bereich der Entschädigungsfragen.
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