Ablenkungen am Steuer – was ist erlaubt?

Scanner

Ende 2020 erging ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm), in welchem klargestellt wurde, dass die Verwendung eines Paketscanners von Paketlieferern während der Fahrt geahndet werden kann. Für den Fahrer hieß es daher: Bußgeld über 100,00 € erhielt und Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister (umgangssprachlich auch „Punkte in Flensburg“ genannt).

Nutzung eines Paketscanners während der Fahrt

In der bezeichneten Entscheidung hatte der Paketlieferdienstfahrer seinen Scanner während des Fahrens bedient. Er wurde beobachtet, wie er den Scanner in der einen Hand hielt und ihn mit der anderen bediente. Das OLG Hamm hatte über die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts zu entscheiden und bestätigte den Schuldspruch. Das Bußgeld war nach Ansicht des Gerichts zurecht verhängt worden.

Häufig kursiert in den Köpfen noch die Vorstellung, dass nur ein Mobiltelefon am Steuer verboten ist. Dies war früher zutreffend. Bis zum 19.07.2017 hieß es in § 23 der Straßenverkehrsordnung (StVO):

„Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss.“

Der Gesetzgeber hat diesen Wortlaut allerdings angepasst. Hintergrund der Änderung war der Umstand, dass es immer mehr Geräte gibt, die in der Lage sind, den Autofahrer abzulenken, aber der zitierten Vorschrift nicht unterfielen. So wäre beispielsweise bis zum 19.07.2017 das Abspielen eines Filmes auf einem Tablet nicht verboten gewesen, weil es sich hierbei eindeutig nicht um ein Mobiltelefon handelte. Die Grenze der Auslegung unserer Strafrechtsnormen und Ordnungswidrigkeitennormen stellt immer der Wortlaut der Vorschrift dar. Wenn also das Gesetz von Mobiltelefon spricht, dann darf ein Gericht diesen Begriff nicht in jedes andere elektronische Gerät umdeuten. Dies gilt selbst dann, wenn der Normzweck (der Sinn der Regelung) auch bei dem anderen elektronischen Gerät verwirklicht würde oder sogar noch größer wäre. Der Gesetzgeber passt daher den Wortlaut an auf:

„(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nurbenutzen, wenn

  1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und
  2. entweder
  1. nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
  2. zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.“(§ 23 Abs. 1 a StVO aktuelle Fassung)

Nutzung während der Fahrt oder im Stand?

Zuvorderst ist mit dem weitläufig bestehenden Irrtum aufzuräumen, dass entsprechende Geräte nur nicht während der „Fahrt“ verwendet werden dürfen. Die Norm besagt, dass der Gebrauch dieser Geräte nicht gestattet ist währenddessen ein Fahrzeug geführt wird. Hiervon ist auch das Verwenden bei eingeschaltetem Motor und stehendem Auto erfasst, folglich wird auch das Telefonat sanktioniert, das im am Straßenrand abgestellten Fahrzeug „am Ohr“ bei eingeschaltetem Motor geführt wird.

Eine Verwendung eines elektronischen Gerätes ist nach obiger Vorschrift nur dann legitim, wenn es hierfür nicht in der Hand gehalten wird und zusätzlich noch nur mit Sprachsteuerung oder durch einen kurzen Blick bedient werden kann. Nur wenn beide Ausnahmegründe zusammen vorliegen, darf das elektronische Gerät verwendet werden. Muss also ein elektronisches Gerät, welches der Kommunikation, Information oder Organisation dient, zur Bedienung gehalten werden, ist es allein deswegen bereits verboten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Gerät welches durch eine Apparatur gehalten wird oder sogar im Auto verbaut ist (z.B. Navigationsgerät) automatisch verwendet werden darf. Eine Verwendung ist nur dann zulässig, wenn dies mittels einer kurzen, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasster Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Sehr deutlich an der aktuellen Fassung wird, dass der Gesetzgeber nunmehr ausnahmslos jedes elektronische Gerät, welches vom Fahren ablenken könnte, erfassen wollte. Wie weit diese Auslegung reicht, lässt sich an einer Entscheidung des Oberlandesgericht Karlsruhe erkennen. Hierbei wurde einem Tesla Fahrer eine Geldbuße auferlegt, nachdem er den in der Mittelkonsole eingebauten Touchscreen verwendet hatte, um über diesen die Frequenz der Scheibenwischer zu erhöhen (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 27.03.2020 – 1 Rb 36 Ss 832/19).

Gleichwohl heißt dies nicht automatisch, dass jedes elektronische Gerät erfasst ist. Dies wird durch Absatz 2 der oben dargestellten Norm verdeutlich, in welcher exemplarisch weitere Geräte aufgezählt werden. Vielmehr liegt die Frage nun beim jeweiligen Gerät und der jeweiligen Verwendung im Einzelfall und muss jeweils auf den konkreten Sachverhalt bezogen entschieden werden. Wie die obige Entscheidung zeigt, fallen hierunter auch Paketscanner.

Ein elektronisches Gerät muss aber auch entsprechend benutzt werden. Nicht jedes Halten oder Verwenden ist sanktioniert. Eine ältere Entscheidung des OLG Hamm aus 2007 stellte fest, dass die Verwendung eines Mobiltelefons als „Ohrenwärmer“ bei Ohrenschmerzen – den warmen Akku ans Ohr haltend – nicht unter die frühere Vorschrift fiel. Ob eine derartige Entscheidung heute noch getroffen würde, ist fraglich. Dennoch müsste auch hier erneut dem Einzelfall nach entschieden werden.

Ablenkungen am Steuer

Als „Faustformel“ gitl: was nicht explizit verboten ist, ist während der Fahrt erlaubt. Begrenzt wird diese „Faustregel“ erst, sofern das jeweilige Verhalten den Grad einer fahrlässigen Pflichtverletzung erreicht und sich diese Gefährdung realisiert, sodass die Strafrechtsnormen der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) und gegebenenfalls sogar fahrlässigen Tötung verwirklicht sein könnten (§ 222 StGB).

Ein Klassiker als Beispiel: Während der Fahrt einen Burger zu essen, wie dieser an nahezu jeder Autobahnraststätte angeboten wird, ist selbstredend erlaubt. Insgesamt ist das Essen und Trinken erlaubt, wenn jedoch in der Mittelkonsole ein Fondue aufgebaut würde, ist dies zwar nicht explizit verboten, wenn hierdurch jedoch, ungeachtet dessen, ob der Topf umkippt oder nur ablenkt, ein Unfall verursacht würde, könnte diese Art des Essens als fahrlässiges Verhalten bewertet werden und zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen.

Gleich verhält es sich beim Autofahren mit High Heels, mit Gipsbein, mit Flip-Flops oder sogar barfuß. All dies ist nicht verboten, relevant hierbei ist nur, dass das Fahrzeug sicher geführt werden kann.

Beachtet werden sollte aber immer, dass auch, wenn ein konkretes Verhalten nicht verboten ist und obige Straftatbestände nicht erfüllt sind, es dennoch teuer werden kann. Jedes nachzuweisende Verhalten kann unter Umständen zu einem Haftungsanspruch im zivilrechtlichen Verfahren bei Unfällen führen und gegebenenfalls zu einem Ausschluss der eigenen Versicherung. Insofern sollte diese „Faustregel“ nicht gedankenlos ausgelebt werden, sondern durchaus immer das sichere Führen des Fahrzeugs im Vordergrund stehen, besonders auch zum eigenen Schutze.

Als weitere konkrete Einschränkung der Faustregel sind die bekannten Strafrechtsnormen und Ordnungswdrigkeitennormen zu beachten. So darf beispielsweise Bier oder sogar auch Hochprozentiges während der Fahrt getrunken werden, jedoch dürfen hierbei nicht die vom Gesetzgeber festgelegten Grenzwerte überschritten werden. Dies bedeutet, ab 0,5 Promille stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar und die Folgen wären zwei Punkte im Fahreignungsregister, ein Monat Fahrverbot und € 500,00 Geldbuße. Ab 1,1 Promille stellt dies den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) dar und die Folgen sind die Entziehung der Fahrerlaubnis, regelmäßig eine Sperrfrist für die Neuerteilung und eine empfindliche Geldstrafe. Aufgepasst werden muss hierbei, weil bereits ab 0,3 Promille der Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB erfüllt sein kann, wenn alkoholbedingte Fahrauffälligkeiten (z. B. Schlangenlinien) hinzutreten. Sofern diese Tatbestände jedoch nicht erfüllt sind, darf man theoretisch mit dem Bier in der Hand die Polizei grüßend an einer Verkehrskontrolle vorbeifahren. Empfehlenswert ist dies aus zwei Gründen dennoch nicht. Einerseits ist klar, dass Alkohol im Straßenverkehr durchaus eine Gefährdung darstellt und allein deswegen keinesfalls empfohlen werden kann, andererseits stellt obiges Verhalten eindeutig einen Anfangsverdacht für die genannten Tatbestände dar und ein tatsächliches „Vorbeifahren“ an der Polizei wäre höchst unwahrscheinlich. Denn sofern ein Anfangsverdacht vorliegt, wird die Polizei diesem nachgehen und die Tatbestände dennoch überprüfen müssen (Alkoholkontrolle und gegebenenfalls ein eingeleitetes Verfahren). Und dies ist auch im Falle, dass keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit verwirklicht wurde, durchaus mit Unannehmlichkeiten verbunden.

Maske im Auto

Ein weiteres schönes Beispiel: die Maskenpflicht am Steuer (Stand heute in Berlin, Hamburg, dem Saarland und Sachsen) bei Anwesenheit einer haushaltsfremden Person kann zu einer interessanten Konstellation und zugleich zu einem rechtlich ungeklärten Problem führen. Nach § 23 StVO ist das Verhüllen oder Verdecken des Gesichts, also die Maskierung, verboten:

„Wer ein Kraftfahrzeug führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist.“ (vgl. § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO)

Sinn der Vorschrift ist die Erkennbarkeit des Fahrers (für Blitzeraufnahmen), weil nur der Fahrer für einen Geschwindigkeitsverstoß zur Verantwortung gezogen werden kann. Würde nun jeder Fahrer eines Fahrzeuges immer eine Maske tragen dürfen, wäre eine Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen quasi aussichtslos. Doch derzeit wird ein Verstoß gegen § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO wohl nur schwer durchzusetzen sein im Hinblick auf die geltenden Corona-Verordnungen. Wer entsprechend der Corona-Verordnungen eine Maske trägt, wetterbedingt eventuell noch eine Sonnenbrille, wird hierfür unserer Ansicht nach kaum bestraft werden können. Das Gesetz kann nun nicht bei sich widersprechenden Gesetzen das Unmögliche verlangen, in der Literatur und auch unter den Gerichten herrscht hierzu keine einhellige Meinung.

Es zeigt sich, dass es bei (vermeintlichen) Verstößen am Steuer auf den Einzelfall ankommt, wir können daher die fachkundige Überprüfung von Bußgeldbescheiden nur dringend empfehlen. Mit unserer Erfahrung im Straf- sowie Ordnungswidrigkeitenrecht bieten wir Ihnen eine umfassende Beratung und Vertretung: Dr. Granzin Rechtsanwälte.

 

 

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