Wenn Schaulustige sich schuldig machen

Tag für Tag ereignen sich auf deutschen Straßen dutzende Unfälle, von denen glücklicherweise nur die wenigsten zu Verkehrstoten führen. Fast 2,5 Millionen Unfälle hat das statistische Bundesamt allein im Jahr 2015 registriert. Häufig liest man in diesem Zusammenhang auch von Schaulustigen, die die Unfallstelle blockieren und auf diese Weise die Opfer noch zusätzlich gefährden. Immer wieder lässt sich beobachten, wie Schaulustige nach einem Unfall das Tempo drosseln oder sogar ganz anhalten, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Besonders erschreckend sind die Fälle, in denen Unbeteiligte hemmungslos die eigene Sensationsgier befriedigen, anstatt den Verunglückten zur Hilfe zu kommen. Aber auch, wenn bereits Rettungskräfte vor Ort sind, wird deren Arbeit viel zu häufig von den sogenannten „Gaffern“ behindert. Dabei ist es keine Seltenheit, dass Umstehende sofort ihr Smartphone zücken, um das Geschehen zu filmen oder zu fotografieren – und auch bei Unfalltoten nicht davor zurückschrecken. Gelangen solche Aufnahmen dann auch noch ins Netz, ist dies besonders für die Angehörigen der Opfer tragisch. Das Land Niedersachsen plant deshalb eine Bundesrats-Initiative, die das Fotografieren und Filmen von Verkehrstoten unter Strafe stellen und auf diese Weise eine Gesetzeslücke schließen soll. Eine solche Initiative war bereits 2016 in den Bundesrat eingebracht worden, hatte damals allerdings keinen Erfolg.

 

Warum sind Gaffer so gefährlich?

 

An einer Unfallstelle kommt es oftmals zu einem wahren Tumult von Einsatzleuten, verschiedenen Rettungswagen, Polizisten und Unfallbeteiligten, wobei letztere teilweise schwer verletzt sind. Dabei kann es auf jede Sekunde ankommen, wenn es darum geht, das Leben der Opfer zu retten. Medizinische Maßnahmen, wie etwa eine Reanimation nach einem Herzstillstand oder das Stillen einer schweren Blutung müssen so schnell wie möglich erfolgen. Äußerst kontraproduktiv ist es daher, wenn Schaulustige die Zugangswege versperren, um zu filmen oder zu fotografieren – und dabei möglicherweise die Rettungskräfte behindern und auf diese Weise die Unfallopfer weiter  gefährden.

 

Wer als Autofahrer einen Unfall beobachtet und dabei abbremst, um eine bessere Sicht auf das Geschehen zu haben, behindert nicht nur den Notdienst, sondern kann sich unter Umständen auch selbst gefährden, etwa indem er einen Auffahrunfall verursacht.

 

Fotos überlebender Unfallopfer bereits jetzt verboten

 

Wer aus purer Sensationslust Bild- oder Videoaufnahmen vom Unfallgeschehen anfertigt, handelt immer pietätlos – aber macht er sich auch stets strafbar?

 

Die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen" nach § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB verbietet es jetzt schon „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt“ herzustellen oder zu übertragen „und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person“ zu verletzen, - das heißt also, Foto- und Filmaufnahmen von überlebenden Unfallopfern zu machen. Die abgebildete Person darf sich zum Zeitpunkt der Aufnahme allerdings nicht nur in einem Zustand der Hilflosigkeit befinden, sondern gerade diese Hilflosigkeit muss durch die Aufnahme „zur Schau“ gestellt werden. Davon dürfte aber regelmäßig auszugehen sein, wenn ein Unfallopfer in seinen verletztlichsten Momenten fotografiert bzw. gefilmt wird. Bei Verstoß gegen diese Norm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.

 

Weiterhin wird nach dieser Vorschrift bestraft, wer eine nach § 201a Nr. 2 StGB hergestellte Aufnahme gebraucht oder einder dritten Person zugänglich macht oder eine befugt hergestellte Bildaufnahme der bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.

 

Bereits tote Personen sind jedoch vom tatbestandlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift derzeit nicht erfasst. Nach Ansicht der niedersächsischen Justizministerin handelt es sich dabei um eine Strafbarkeitslücke, die es dringend zu schließen gilt.

 

[caption id="attachment_3419" align="aligncenter" width="1000"] rangizzz / shutterstock[/caption]

 

Trotz Sichtschutz Fotos von Unfalltoten 

 

Angesichts zahlreicher Vorfälle aus der älteren und jüngeren Vergangenheit, erscheint das Ansinnen der Ministerin durchaus nachvollziehbar. Erst Ende letzten Jahres kam es in der Nähe von Aschaffenburg zu einem schweren Unfall, bei dem Lastwagenfahrer aus ihren Führerhäusern über den errichteten Sichtschutz hinweg Fotos von Unfalltoten angefertigt hatten. Solcherart rücksichtslosem Verhalten könnte besser begegnet werden, wenn das Strafgesetzbuch auch Unfalltote unter den Schutz der entsprechenden Vorschrift stellte. Der entsprechende Paragraph solle so gefasst werden, dass die Polizei bereits dann einschreiten kann, wenn Schaulustige am Unfallort ihr Smartphone zücken. Schon die drohende Beschlagnahme des geliebten Handys könnte geeignet sein, Gaffern die Lust am Fotografieren zu vermiesen.

 

Sanktionen für Schaulustige

 

Wird die Sensationsgier nicht als Straftat sondern nur als Ordnungswidrigkeit gewertet, kann dies ein Bußgeld zwischen 20 und 1000€ nach sich ziehen. Aber auch wer „nur“ zuschaut und keine Fotos vom Unfallgeschehen anfertigt, muss unter Umständen mit Konsequenzen rechnen. Wer bei einem Unfall den Seitenstreifen der Autobahn befährt und dadurch die Rettungskräfte behindert, muss mit einem Bußgeld von 20€ rechnen. Wer auf dem Seitenstreifen parkt und auf diese Weise den Einsatz der Rettungskräfte erschwert wird mit 25€ zur Kasse gebeten.

 

[caption id="attachment_3418" align="aligncenter" width="1000"] Jaromir Chalabala / shutterstock[/caption]

 

Und wie macht man es richtig?

 

Wenn Sie einen Unfall im Straßenverkehr beobachten, sind sie grundsätzlich verpflichtet zu helfen. Gemäß § 323c StGB gibt es eine Pflicht zur Hilfeleistung, vorausgesetzt, diese ist zumutbar und erforderlich. Falls noch nicht geschehen, sichern Sie die Unfallstelle und benachrichtigen Sie Notarzt und Polizei.

 

Ist bereits zu beobachten, dass alle erforderlichen Schritte schon in die Wege geleitet wurden, sollten sämtliche Aktionen unterlassen werden, die geeignet sind, die Rettungsmaßnahmen zu behindern. Bei entsprechender Verkehrslage sollte jeder Verkehrsteilnehmer darauf achten, eine Rettungsgasse für die Einsatzkräfte zu bilden, um den Zugang zum Unfallort zu gewährleisten.

 

Mehr Erfolg im zweiten Anlauf?

 

Vorerst bleibt abzuwarten, ob die in den Bundesrat eingebrachte Initiative zum Fotografieren von Unfalltoten in der zweiten Runde mehr Erfolg haben wird als beim ersten Versuch. Ob zukünftig strafbar oder nicht – Sensations-Aufnahmen von Unfalltoten werden in Zukunft hoffentlich eine Ausnahme bleiben.

 

Sollten Sie Anliegen rund um die rechtliche Fragen des Straßenverkehrs haben, zögern Sie nicht, unsere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir – Dr. Granzin Rechtsanwälte – beraten Sie gerne mit unserer langjährigen Erfahrung im Verkehrsrecht, um ein Bußgeld oder gar eine Verurteilung zu vermeiden.

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