Tierische Lebensgefahr auf der Autobahn: Wenn wilde Tiere wüten..

Tierische Lebensgefahr auf der Autobahn: Wenn wilde Tiere wüten..

Ein schrecklicher Zeitungsartikel ließ unlängst aufhorchen. Auf der Autobahn A 45 geriet ein PKW-Fahrer in eine Herde von Pferden, welche – wie die Polizei ermittelte – aus einer nahegelegenen Koppel geflüchtet waren, weil eine Wildschweinrotte den Zaun der Koppel zerstört und die Pferde aufgescheucht hatten. Auf die auf der Autobahn stehende Herde fuhr ein 45-jähriger Autofahrer auf, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Weder der Fahrer, noch die Pferde überlebten den schrecklichen Unfall.

Wenn ein Mensch stirbt und erhebliche Sachwerte zerstört werden, stellt sich spätestens, nachdem der erste Schmerz überwunden ist, die Frage nach einem strafrechtlich Verantwortlichen oder aber auch die Frage, wer die entstandenen Schäden, oder eventuell eine Rente für die Hinterbliebenen zahlt.

In der vorliegenden Fallkonstellation stehen mehrere potenziell Verpflichtete zur Disposition. Zu denken wäre zum einen an eine Haftung des Besitzers bzw. Halters der Pferde, eine Haftung des örtlichen Jagdpächters im Hinblick auf das Handeln der Wildschweine und schlussendlich auch an die Versicherung des getöteten Kfz-Fahrers. Letztere ist – dies ist vergleichsweise simpel – als Kasko-Versicherung einstandspflichtig, sofern der Unfall durch Haarwild, d.h. etwa Hirsch, Reh, Fuchs, Hase, Wildschwein, oder größeres Nutzvieh verursacht wird. Hier greift üblicherweise die Teilkasko-Versicherung. Die Kasko-Versicherung ist allerdings begrenzt auf den reinen Sachschaden. Der Ersatz des Wertes des durch den Unfall zerstörten Fahrzeuges dürfte für die Hinterbliebenen insoweit nur ein sehr schwacher Trost sein.

Die größte Hoffnung dürften sich die Angehörigen im Hinblick auf eine eventuelle Haftung des Tierhalters, d.h. zumeist des Besitzers oder Eigentümers der Pferde machen. Da es für die Allgemeinheit Gefahren mit sich bringt, ein Tier zu halten, hat der Gesetzgeber in § 833 BGB eine verschuldensunabhängige, sogenannte „Gefährdungshaftung“ eingeführt. Wenn durch ein Tier ein Mensch getötet oder verletzt, oder eine Sache beschädigt wird, so hat der Tierhalter den daraus entstandenen Schaden dem Geschädigten zu ersetzen. Insoweit unterscheidet sich die Tierhalterhaftung vom üblichen Haftungsmaßstab, der besagt, dass für eine Haftung des Verursachers, dieser „schuldhaft“ gehandelt haben muss, also in einer im Sinne eines Unrechtsvorwurfs denkbaren Weise. Der Grundgedanke des Gesetzgebers ist verständlich. Jemand, der keinen Hund hat, setzt logischerweise nicht einmal die abstrakte Gefahrenquelle, dass sein (nicht vorhandener) Hund zu irgendeinem Zeitpunkt einen Menschen oder einen anderen Hund beißen und verletzen könnte. Da aber nun einmal ein jedes Tier – und sei es noch so gut erzogen – einen eigenen und vom Besitzer nicht immer unbedingt beherrschbaren Willen hat, ist nur konsequent, die Haftung des Tierhalters auch für eben auch nicht verschuldete, durch seine Tiere verursachte Schäden aufzuerlegen.

Haften Hobby- und Berufshalter gleich?

In der vorliegenden Angelegenheit wird es insoweit etwa nicht darauf ankommen, inwieweit der Pferdehalter die Umzäunungen ordnungsgemäß erstellt hatte (um etwa auch eine Beschädigung derselben durch Wildschweine zu verhindern), oder ob er etwa schon von vornherein „schlampig“ bei der Einzäunung der Koppel in Autobahnnähe vorging. Ebenso, wie der Gesetzgeber die Notwendigkeit erkannt hatte, die Tierhalter dem Grunde nach für die von ihren Tieren verursachten Schäden in die Pflicht zu nehmen, hat er aber auch erkannt, dass Tierhaltung – sofern sie nicht als Hobby betrieben wird – ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Muss ist. Zum einen wäre ohne die Haltung von Tieren die Ernährung der Bevölkerung erschwert, zum anderen müsste man auf im Alltag bedeutsame industrielle Produkte aus tierischen Quellen wie etwa Leder oder Seife verzichten. So hat sich ferner etwa der Reitsport zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftszweig entwickelt und auch das Halten von Hunden als Polizei-, Forst-, Rettungshund etc. ist eine unumgängliche Notwendigkeit. Insoweit hat der Gesetzgeber in § 833 Satz 2 BGB die Regelung eingeführt, dass die Ersatzpflicht des Halters dann nicht eintritt, sofern der Schaden durch ein als Haustier gehaltenes Tier verursacht wird, welches dem Beruf, der Erwerbstätigkeit bzw. dem Unterhalt des Tierhalters dient und der Tierhalter darüber hinaus die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat.

Für die Hinterbliebenen des geschädigten Autofahrers würde sich in der vorliegenden Konstellation mithin die Frage stellen, ob es sich bei den unfallverursachenden Pferden um dem Erwerbsleben dienende Haustiere oder aber schlicht um „Luxustiere“ gehandelt hat. Sollte es sich etwa um Pferde gehandelt haben, die der Halter lediglich zu privaten Reitzwecken hielt, so würde er sich nicht entlasten können. Anders würde es dann aussehen, wenn die Pferde der Zucht dienten, oder etwa zu einem Reitverein gehörten, bei dem sie einer wirtschaftlichen Nutzung durch Vermietung unterlagen. In diesem Falle aber müsste der Halter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eben gerade nicht beachtet haben. Wenn – wie in der Zeitung zu lesen war – eine Wildschweinrotte die Pferde aufgescheucht haben sollte, wäre dies grundsätzlich geradezu ein klassisches Beispiel für eine nicht vorhersehbare und vom Halter auch nicht vermeidbare Ursache. Dies gilt normalerweise auch insoweit, als die Pferde aufgrund eines durch Wildschweine beschädigten Zaunes entwichen sein sollen. Allerdings dürfen bei der Eruierung der Sorgfaltsanforderungen die geographischen und biologischen Begebenheiten nicht vernachlässigt werden. So muss etwa die hier bestehende Nähe zu einer viel befahrenen Straße und das zunehmende Aufkommen von Wildschweinen stets bei der Sicherung einer Pferdekoppel beachtet werden. Daher stellt sich die Frage, ob der Zaun massiv genug gebaut war, um einem mittlerweile durchaus „erwartbaren“ Angriff durch Wildschweine standzuhalten. Das Auftreten von starken Wildschweinbeständen ist in der durch Monokulturen bestimmten Landwirtschaft nunmehr ein landesweit auftretendes Phänomen, so dass mit dem Versuch des Durchbrechens von Weidezäunen durchaus gerechnet werden muss. Sollte die Umzäunung derart schwach und unsorgsam erstellt worden sein, dass sie bereits einem vergleichsweise wenig „beherzten“ Angriff nicht standhielt, oder gar so niedrig erstellt worden sein, dass die Pferde sie auch an einer nicht beschädigten Stelle durch Überspringen hätten überwinden können, dürften die Entlastungsmöglichkeiten des Halters eher begrenzt sein.

Mit einer wie auch immer verursachten Störung – gerade in Nähe einer vielbefahrenen Autobahn – wird ein Pferdehalter stets zu rechnen haben. Eine Einzäunung muss daher zumindest so beschaffen sein, dass sie nicht durch einfaches Springen überwunden werden kann.

Quelle: Jausa / Shutterstock

Obgleich dieser Haftungsmaßstab zivilrechtlich lediglich den Halter trifft, der seine Tiere zum Zwecke der Berufsausübung hält, gilt der Fahrlässigkeitsmaßstab (Einhalten der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt) gleichermaßen für den „Hobbyhalter“, wie auch für den berufsmäßigen Tierhalter. Wenn – insbesondere in Nähe befahrener Straßen – eine im Rahmen der Großtierhaltung erstellte Einzäunung sorglos, zu schwach oder zu niedrig erstellt wird, so wäre gleichermaßen von einer Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auszugehen, als wenn der Halter die Einzäunung nicht in regelmäßigen Abständen auf Beschädigungen kontrolliert und aufgetretene Schäden sofort beseitigt. In welcher Art der Einfriedung im konkreten Fall zu erstellen ist, ist von den örtlichen Gegebenheiten abhängig. In der Abgeschiedenheit des verkehrsarmen Hinterlandes werden etwa an das Einzäunen einer Weide mit Jungbullen deutlich geringere Anforderungen zu stellen sein, als in unmittelbarer Nähe bewohnter Siedlungen oder stark befahrener Verkehrswege (zu denken ist hier auch an Eisenbahnlinien). Eine Schafkoppel muss selbstverständlich wesentlich weniger stark eingegittert werden, als eine Weide, auf der Springpferde gehalten werden, die kraft Natur der Sache auch größere Hindernisse leicht überwinden können.

Dabei sind auch die sich ändernden ökologischen Gegebenheiten mittlerweile seitens der Tierhalter würdigend mit einzubeziehen. In Deutschland breitet sich mittlerweile wieder der Wolf aus und bereits nicht geringe Teile der Bundesrepublik sind Wolfsgebiet oder Wolfserwartungsgebiet. Während es nicht unbedingt erwartbar ist, dass Nutztiere beim Erscheinen von Wildschweinen in Panik verfallen, ist dies im Falle eines Wolfsangriffes schlichtweg die Regel. Da Wölfe auch Nutztiere in „Rudeltaktik“ bejagen, setzt bei den gejagten Nutztieren sodann in nachvollziehbarer Weise ein Fluchtinstinkt ein, der sie teilweise auch Hindernisse überwinden lässt, die im Rahmen ihres üblichen Verhaltens unüberwindbar wären. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Herdenschutzes, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht tun Nutztierhalter mittlerweile gut daran, ihre Nutztiere in Wolfsgebieten bzw. Wolfserwartungsgebieten „wolfsdicht“ zu gattern, d.h. so, dass ein Wolf weder auf den Weidegrund eindringen, noch die darin enthaltenen Nutztiere aus diesem entweichen können.

In der vorliegenden Konstellation sprechen die Fakten, namentlich das Eindringen einer Wildschweinrotte auf die Pferdekoppel und das Überwinden der Einzäunung durch die Pferde, zumindest für einen Anfangsverdacht betreffend den Tierhalter im Hinblick auf eine fahrlässige Tötung zu Lasten des Autofahrers. Sollten die Pferde die Koppel an einer nicht beschädigten Stelle des Zaunes verlassen haben, oder aber, sollte der Zaun bereits einem „halbherzigen“ Angriff der Wildschweine nachgegeben haben, so dürfte sich der Tierhalter auf unangenehme Fragen gefasst machen müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob er – wie dargestellt – aus beruflichen Zwecken oder aus Liebhaberei die Pferde hielt.

Ist der Wildschweinjäger haftbar?

Der Jagdpächter des betroffenen Reviers aber kann sich – ungeachtet der Tatsache, wie schrecklich der Unfall ist – entspannt zurücklehnen. Die Wildschweine sind als Wildtiere – wie der Name verrät – wild und gehorchen keines Menschen Willen. Im Gegensatz zum Haustier, welches im Eigentum von irgendjemandem steht (zumeist der Halter) besteht an den Wildtieren, solange sie leben, kein Eigentum. Sie sind im rechtlichen Sinne herrenlos. Die Handlungen wilder Tiere sind nun einmal aber eines der „unumgänglichsten“  Risiken und insoweit auch von niemandem zu verantworten. Selbst dann, wenn ein Jäger die ihm behördlicherseits aufgegebenen Abschusspläne nicht einhält und es etwa zu einer „Wildschweinplage“ gekommen ist, dürfte man ihm die Verantwortung für einen entsprechenden Unfall kaum nachweisen können. Wildtiere legen teils große Entfernungen zurück und die Tatsache, dass sich ein Unfall mit einem Wildtier in einem bestimmten Jagdbezirk ereignet hat, belegt nicht, dass das Tier sich dort üblicherweise aufhält.

Eine Haftung des Jagdpächters für das Verhalten von Wildtieren ist daher nur in sehr engen Ausnahmefällen anzunehmen. Wenn etwa ein Jäger in unmittelbarer Nähe einer viel befahrenen Autobahn einen „gewagten“ Schuss auf ein Stück Wild abgibt und dabei damit rechnet oder rechnen muss, dass das Tier in seiner Flucht die Autobahn überquert, so dürfte ein Fahrlässigkeitsvorwurf durchaus gerechtfertigt sein. Auch das etwa durch eine erlaubte Jagdausübung verursachte Panikverhalten von Nutztieren, etwa die Abgabe eines Schusses in unmittelbarer Nähe einer Herde, könnte – bricht diese sodann aus – zu einer Schadenersatzpflicht und auch zu einer strafrechtlichen Verantwortung des betreffenden Jägers führen. Bei Einhaltung sich aufdrängender elementarster Sicherheitsvorkehrungen bei der Jagdausübung ist eine Haftung des Jägers indes praktisch immer ausgeschlossen.

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