Die Schuldfrage im Zeichen des Alkohols stellt sich seitdem Mönche vor Hunderten von Jahren anfingen Bier zu brauen, Winzer ihre Weinberge anlegten und Destillerien begannen ihren Schnaps zu brennen. Dennoch ist sie zeitlos und daher, wie unlängst auch im Rahmen des Mordprozesses um den Messerstich der Melanie M. auf dem Oktoberfest, immer wieder aktuell.
Bisweilen hält sich hierzulande hartnäckig der Irrglaube, dass eine Alkoholisierung zumeist die Strafe mildere. Dies ist indes nur unter bestimmten Voraussetzungen der Fall.
Die Promillerichtwerte
So hat die Blutalkoholkonzentration (BAK) regelmäßig erst ab einem gewissen Wert eine Bedeutung für das Strafverfahren. Selbst bei Erreichen eines solchen Wertes hängt es stets vom Einzelfall ab, ob die Alkoholisierung die Tat beeinflusst hat, daher spricht man nur von einem Richtwert.
2,0 Promille
Ab einem BAK-Wert von 2,0 kommt eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB in Betracht. Es kommt allerdings auf den konkreten Fall an, sodass die Schuldfähigkeit etwa bereits unterhalb dieses Wertes vermindert sein kann, andererseits kann eine Reduzierung der Schuld auch bei über 2 Promille im Einzelfall ausscheiden.
2,2 Promille
Bei Tötungsdelikten steigt man aufgrund der höher anzusetzenden Hemmschwelle bei Angriffen auf das Leben in der Regel erst bei 2.2 Promille in die Prüfung einer Schuldminderung ein.
3,0 Promille
Die Schuld kann unter Umständen gemäß § 20 StGB gänzlich entfallen, wenn eine Drei vor dem Komma steht. Ob dieser seltene Fall der Schuldunfähigkeit angenommen werden kann, entscheiden wiederum mehrere Faktoren wie etwa die Gewöhnung an Alkohol sowie Ausfallerscheinungen und Abweichungen von üblichen Verhaltensweisen. Ein Alkoholiker etwa wird sich in diesen alkoholischen Sphären deutlich von einem im Alkoholgenuss eher unerprobtem Täter unterscheiden.
3,3 Promille
Ab dem amtlichen Wert von 3,3 Promille kann sogar im Bereich von Mord und Totschlag im absoluten Ausnahmefall eine Strafbarkeit ausscheiden. Allerdings wird nach § 64 StGB die Unterbringung in einer geschlossenen Entziehungsanstalt angeordnet, sofern die Gefahr besteht, dass die schuldunfähige Person „infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird“.
In forensischen Kliniken werden suchtkranke Täter untergebracht, die aufgrund ihrer Erkrankung eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen haben und die Gefahr der Begehung weiterer Rauschtaten besteht. In der folgenden Tabelle ist die Verteilung der im Rahmen des Strafverfahrens festgestellten Diagnosen der Angeklagten und späteren Patienten des sog. Maßregelvollzugs in NRW aufgeführt. Suchterkrankungen wie Alkoholabhängigkeit stellen hierbei mit 29,48 Prozent fast ein Drittel der Einweisungen wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 64 StGB dar.
Quelle: mgepa.nrw.de
Wie ist es bei Alkoholikern?
Alkoholkranke Menschen stellen natürlich eine Sondergruppe dar, hier ist im Einzelfall eine ausführlichere Analyse des Konsumverhaltens vorzunehmen, um festzustellen ob – auch bei hohen BAK-Werten – überhaupt eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung zum Tatzeitpunkt vorgelegen hat. Der menschliche Organismus ist von Gewohnheiten geprägt, so ist es etwa durchaus möglich, dass Lastwagenfahrer mit vier Promille ihren Truck noch einigermaßen passabel steuern können.
Und wenn man sich „Mut antrinkt“?
Umstritten unter Juristen ist der Fall, in dem der Betroffene vor oder während des sich Berauschens den Entschluss zu einer Straftat fasst. So stellt sich die Frage, wie ein Geschehen strafrechtlich zu bewerten ist, wenn sich jemand im zurechnungsfähigen oder nüchternen Zustand entscheidet seinen Nebenbuhler zu erschießen. Etliche Biere und Schnäpse später verlässt er vollkommen betrunken mit über 3,3 Promille die Kneipe und setzt seinen Plan in die Tat um. Strafrechtlich gesehen wäre er also wahrscheinlich grundsätzlich straflos. Da dieses Ergebnis unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten äußerst unbefriedigend erscheint, wird der Zeitpunkt der Vorwerfbarkeit bzw. Schuldfähigkeit auf den Zeitpunkt der Entschlussfassung in der Kneipe vorverlagert, um so eine Strafbarkeit zu erreichen. Diese rechtliche Konstruktion wird in Fachkreisen actio libera in causa genannt und ist im Einzelnen umstritten.
Was ist mit Menschen, die alkoholisiert zu Gewalt neigen?
Die oben geschilderte Rechtsfigur ist auch bei sog. fahrlässiger Begehungsweise möglich. Fahrlässighandelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. So kann sich auch strafbar machen, wem bewusst ist, dass er unter Alkoholeinfluss regelmäßig zu Gewalttaten neigt und dennoch exzessiv zecht und sodann im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit jemanden krankenhausreif prügelt.
Es reicht ferner bereits aus, wenn man „einen drauf macht“ und nicht hinreichend sicher eine spätere Autofahrt am Steuer in grundsätzlich schuldunfähigem Zustand ausschließt, um sich etwa einer Trunkenheitsfahr oder Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig zu machen.
Liegt hingegen tatsächlich eine Schuldunfähigkeit vor, so wird wie oben erläutert in der Regel der sog. Maßregelvollzug zur stationären geschlossenen Behandlung der suchtbedingten Straffälligkeit angeordnet. Die folgende Tabelle veranschaulicht die Verteilung der begangenen Straftaten im Maßregelvollzug.
Quelle: mgepa.nrw.de
Und wenn nicht gepustet wurde?
Wurde kein Promillewert gemessen, so bleibt die Möglichkeit, die Alkoholisierung des vermeintlichen Täters zur Tatzeit anhand seiner Einlassung sowie den Angaben der Zeugen zu rekonstruieren. Diese Aussagen können dann von Gutachtern in Kombination mit den persönlichen körperlichen Daten des Täters sowie seiner Alkoholgewöhnung zu einer Promillezahl umgerechnet werden.
Was spricht für, was gegen eine Schuldminderung?
Eine wesentliche Rolle spielt bei der Bewertung einer im Rausch begangenen Tat neben der konkreten Begehungsweise natürlich das Vor- und Nachtatverhalten. So kann etwa eine plötzliche Spontanreaktion in Form der Verfolgung eines Kontrahenten im Rahmen einer eigentlich bereits geschlichteten Lappalie für eine alkoholbedingt reduzierte Steuerungsfähigkeit sprechen. Solange nichts aufgrund schlüssiger Beweise für einen geringeren Wert spricht, ist trotz des gegenüber einem Alkoholtest geringeren Beweiswerts der nachträglichen Schätzung also von einer Schuldminderung auszugehen.
Kümmert sich der Täter nach der Tat gar nicht oder nur bruchstückhaft um die Vertuschung der Tat, so ist dies ein Indiz für eine erhebliche Herabsenkung der Schuldfähigkeit. Genauso kann jedoch laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH 7. 2. 2012 – 5 StR 545/11) bei Entsorgung der Tatwaffe in Form eines Messers und der ergriffenen Flucht mit der Straßenbahn eine Schuldminderung vorliegen, zumal die Ausführung der Tat auch bei hohen BAK-Werten für eine erhebliche situative Ernüchterung sorgen kann. Erforderlich ist daher eben nicht zwingend ein klischeehaftes Torkeln oder Lallen, um eine verminderte Steuerungsfähigkeit anzunehmen.
Die folgende Grafik zeigt den Einfluss verschiedener Rauschmittel auf die äußere physische Funktionsfähigkeit in Bezug auf die Umwelt während der Wirkungszeit der Droge. Alkohol schneidet mit minus 60 Prozent besonders schlecht ab.
Quelle: integrale psychotherapie
Und im Zweifel?
Im Zweifel gilt auch hier der allgemeine bekannte Grundsatz in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Lässt sich eine verminderte oder gar aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen, so wird sie zugunsten des Angeklagten angenommen.
Keine Schuld = keine Strafe?
Hier folgt die nächste Überraschung, denn die Antwort lautet: Nein. Wird tatsächlich die Schuldunfähigkeit festgestellt, so kann es wie oben geschildert zur Einweisung in eine Entziehungsanstalt kommen, sofern ein Hang zu alkoholischen oder anderen berauschenden Mitteln besteht. Dies stellt jedoch keine Strafe dar, sondern eine sog. Maßnahme der Besserung und Sicherung. Eine Bestrafung des schuldunfähigen Täters ist dennoch über den Tatbestand des Vollrausches gemäß § 323a StGB möglich, der Folgendes normiert:
§ 323a StGB
Vollrausch
(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.
(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.
(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.
So droht also auch bei Schuldunfähigkeit oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit eine Strafe von bis zu fünf Jahren Haft, wenn man den Rausch beim Konsum entsprechender Rauschmittel zumindest vorhersehen konnte. Allerdings darf die Strafe nicht höher sein als die des schuldunfähig verwirklichten Delikts es vorschreibt. Zudem ist eine Strafantrag des Geschädigten, ein Strafverlangen oder eine Ermächtigung zur Verfolgung einer Tat nach § 323a StGB erforderlich, sofern dies auch für die schuldlose Straftat erforderlich wäre.
Brauche ich einen Strafverteidiger?
Die Frage nach der richtigen Verteidigungsstrategie stellt sich bei Konflikten mit dem Gesetz immer wieder. Diese variiert von Delikt zu Delikt sowie auch von Einzelfall zu Einzelfall sehr stark. Der kompetente Rat eines erfahrenen Fachanwalts für Strafrecht ist daher unabdingbar, sofern nicht ohnehin ein Verbrechen in Rede steht, eine Anklage zum Landes- oder Oberlandesgericht erfolgt oder die U-Haft angeordnet wurde. In diesen Fällen muss der Angeklagte schon per Gesetz nach § 140 StPO von einem Anwalt vertreten werden.
Zögern Sie daher auf keinen Fall mit uns, Dr. Granzin Rechtsanwälte, als Fachanwaltskanzlei für Strafrecht Kontakt aufzunehmen.
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